Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
ansprechen. Behutsam mussten sie aufeinander zugehen und diese Lüge aus der Welt schaffen, die Hannelore und Rüdiger ihr eingeimpft hatten. Nur wie? Sie konnte Kathi nicht sagen, dass Martin sie als Geisel genommen hatte und erschießen wollte, weil er ein narzisstisches, prügelndes Arschloch gewesen war und es nicht ertrug, verlassen zu werden. Kathi hatte ein völlig anderes Bild von ihm, und das wollte Kirsten nicht zerstören. Ein unlösbares Problem. Und dabei fielen ihr nun wieder die beiden Briefe ein, die sie seit heute Morgen in ihrer Handtasche rumschleppte. Einer von Hannelore, einer von der Schule.
Vor sechs Wochen hatte Kirsten das Apartment am Mangfallplatz aufgegeben, in dem sie sich einsam gefühlt hatte, und war in Ginas Zimmer in der WG gezogen, die ihre Eltern fortführten. Seit Gina und Tino zusammenwohnten, stand es leer.
Kirstens neue Adresse kannten weder ihre Schwiegereltern noch die Schulleitung. Die Briefe waren per Nachsendeauftrag gekommen. Ginas Mutter Dorothee hatte sie ihr beim Frühstück gegeben. Seither lagen sie wie Blei in ihrer Tasche.
Die Lifttüren öffneten sich. Kirsten steuerte auf die Drehtür zu und fuhr ins Präsidium. Noch zwei Stunden bis zum ersten Meeting der Soko Samariter. Bis dahin wollte sie einem Hinweis nachgehen, den sie gestern von einem Sozialarbeiter beim Verein Alter, Inklusion und Pflege e. V. erhalten hatte.
Er hatte einen Blog erwähnt, über den er mal gestolpert war. Den Titel hatte er vergessen. Ein Wortspiel mit Pflege.
Seit Tagen suchte sie nun nach Querulanten und Fanatikern und hatte bisher niemanden gefunden, der Behörden mit Briefen, Eingaben und Anzeigen zum Thema Pflegemisere überschüttete. Vermutlich gab es nichts zutage zu fördern. Diesem Hinweis würde sie jetzt noch nachgehen, und dann war es gut.
Ein Wortspiel. Sie versuchte es mit verschiedenen Begriffen und Wortkombinationen. Nichts. Warum so kompliziert, wenn es auch einfach ging? Sie gab Blog +Altenpflege in die Suchmaske ein. Etliche Treffer. Sie klickte sich durch die Seiten. Die meisten befassten sich mit der Ausbildung zum Altenpfleger. Schließlich fand sie Blogs von Altenpflegern, die aus ihrem Alltag berichteten. Die meisten taten das mit Humor und Einfühlungsvermögen. Nach einer Stunde war sie nicht einen Schritt weitergekommen. Kirsten wollte gerade den Blog einer Altenpflegerin schließen, als ihr Blick an einem Link hängen blieb. Pflegmatisch. War das der Blog, nach dem sie suchte? Ein Klick, die Seite öffnete sich. Kirsten zuckte zurück. Das Foto der toten Emily Dreher prangte im aktuellen Eintrag.
Art. 1 GG . Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.
Sie suchte nach dem Datum. Bingo! Neunzehnter Oktober. Das Foto war einen Tag nach dem Mord online gestellt worden, also bevor die Aufnahme beim Münchner Blick eingegangen war. Yeah! Sie hatte den Samariter gefunden. Kein Impressum. Auch keine Kontaktmöglichkeit. Sie fand nur einen Hinweis, dass in diesem Blog Missstände im Umgang mit Alten und Kranken öffentlich gemacht wurden.
Da ich mit diesem Blog gegen Gesetze wie Datenschutz, Geheimhaltungsverpflichtung, Persönlichkeitsrecht e u . v. m. verstoße, habe ich mich entschlossen, ihn anonym zu führen. Seht es mir nach!
Vielleicht fand sich in den Beiträgen ein Hinweis, wo der Samariter arbeitete. Sie vertiefte sich in die Artikel. Als sie schließlich die Seite schloss, fühlte sie sich elend. Wenn stimmte, was dort beschrieben wurde, sollte man nicht alt werden in diesem Land. Beinahe alle Artikel waren mit heimlich aufgenommenen Fotos bebildert. Sie hatte bis aufs Steißbein wundgelegene Hintern gesehen, blutig gekratzte Arme, eitrige Geschwüre. Eine alte Frau mit kotigen Fingern am Frühstückstisch. Einen ans Bett gefesselten nackten Mann, nur noch Haut und Knochen. Der stirbt doch sowieso. Das war die Überschrift und gleichzeitig ein Zitat. Sie las von Demenzkranken, die nachmittags ins Bett gesteckt wurden, bei abgedunkelten Zimmern. Ihre Nacht betrug sechzehn Stunden. Sie sah großflächige Hämatome, blutige Nasen und verschorfte Wunden. Sie las von agilen Senioren, die gezielt mit Medikamenten zu bettlägrigen gemacht wurden, damit das Heim die höhere Pflegestufe für sie bekam und damit mehr Geld. Sie las von Notärzten, die unter Druck gesetzt wurden, bei unklaren Todesfällen von alten Menschen eine natürliche Todesursache zu bescheinigen. Das sparte Arbeit
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