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Denn dein ist die Schuld

Titel: Denn dein ist die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adele Marini
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umso mehr, weil er so sinnlos ist.«
    »Wozu brauchten sie das Mädchen?«, fragte Don Mario keuchend, mit abgehackter Stimme.
    »Manche Dinge sagen sie mir nicht. Aber wenn Sie sich bemühen, kommen Sie wohl auch darauf, wozu Martina gedient haben könnte. Kinder sind eine wertvolle Ware, wissen Sie? Für viele Zwecke geeignet. Es kommt auf die Nachfrage an. Mehr weiß ich nicht darüber. In diesem Umfeld arbeitet man abgeschottet.«
    »Nun gut. Erzählen Sie mir jetzt diese Einzelheiten.«
    Der Mann sagte, was er zu sagen hatte, und ließ den alten Pfarrer in einem Meer aus kaltem Schmerz zurück. Als er fertig war, verließ er die Kirche durch die Sakristei, da das große Portal um diese Zeit schon abgeschlossen war.
    Um kurz vor halb neun sah Leonardo, als er gerade die Empore verlassen wollte, eine dunkle Gestalt aus dem Beichtstuhl kommen, durch das linke Seitenschiff laufen und in der Sakristei verschwinden. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, doch die Figur, der Gang und der Mantel kamen ihm bekannt vor.
    Da Don Andrea ihm von Don Marios Anfall erzählt hatte, erschrak er, als er seine reglose Gestalt im Beichtstuhl bemerkte. Ging es dem Pfarrer vielleicht erneut schlecht?
    Leonardo ging zum Beichtstuhl und schob den grünen Vorhang beiseite.
    »Don Mario?«, sprach er ihn leise an. »Geht es Ihnen gut?«
    Schweigen.
    »Don Mario?«
    »Es geht mir gut, Leo. Ich komme gleich. Nein, wenn du auf mich wartest, gebe ich dir deinen Schal. Er ist in der Sakristei.«
    Der Schal war tatsächlich nur ein Vorwand. Don Mario hatte weiche Knie, und er fürchtete, dass er den Weg durch das Kirchenschiff nicht allein schaffen würde.
    Während er neben dem jungen Mann herging, stützte er sich schwer auf ihn, und durch den Druck seiner Hand auf der Schulter spürte Leonardo, dass der alte Pfarrer erschöpft und leidend war. Er beobachtete ihn im Halbdunkel und bemerkte, dass er zum ersten Mal unsicher auf den Beinen war wie ein alter Mann.
    Seite an Seite erreichten sie die Sakristei. Dort öffnete Don Mario eine Schublade, holte den rostroten Schal heraus und gab ihn Leonardo.
    »Ach, der ist das!«
    Leonardo wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als er die grobe Wolle spürte.
    »Er ist es wirklich!«, wiederholte er, ihm traten die Augen aus dem Kopf, und er war so blass geworden, dass die Sommersprossen auf seiner wachsbleichen Haut aussahen, als hätte sie jemand mit einem roten Filzstift auf ein weißes Blatt gemalt.
    Don Mario sah ihn verwirrt an. »Was ist los, Leo? Ich habe ihn in meinem Panda gefunden. Und ich hatte ihn an dir gesehen. Ich glaubte …«
    »Ja, ja, er gehört mir, aber …«
    Leonardo legte eine Hand an den Mund, da es ihm nicht gelang, seine Stimme zu kontrollieren.
    »Nun rede schon! Was ist los?!«, bedrängte ihn der Pfarrer.
    »Diesen Schal habe ich Ivan geliehen«, brachte der junge Mann stotternd heraus. »Und zwar genau an dem Tag seines Verschwindens. Ich habe ihm den gegeben, als er zum letzten Mal zur Probe kam. Es hat geschneit, erinnern Sie sich? Er war zu dünn angezogen, deshalb habe ich mir den Schal abgenommen und ihm gegeben. Er trug ihn, als er ging, um seine Schwester von der Schule abzuholen. Und danach …«
    »Und danach ist er verschwunden«, vollendete der Pfarrer den Satz. Erst jetzt begriff er, dass er im Zentrum einer gefährlichen Intrige stand.
     

KAPITEL 55
    Donnerstag, 22. Februar, 23:00 Uhr
    Genau sechzehn Tage nach der Entführung des kleinen Giovanni zeigte das Abhören des Telefons und der Wohnung der Simonellas erste Ergebnisse.
    Vielleicht lag es nur an einer kurzen Schwäche eines Mannes, der seit zu langer Zeit unter grauenhaftem psychischem Druck stand, oder an seinem Bedürfnis, seine Frau zumindest ein wenig zu beruhigen. Sie war nach der extremen Kühle, die sie direkt nach der Entführung an den Tag gelegt hatte, unter dem Schmerz vollkommen zusammengebrochen, wie dem auch war, jedenfalls fing der Beamte eines Abends mit dem im Schlafzimmer verborgenen Mikrofon Nummer zwölf folgende Unterhaltung auf:
    Ingegnere Simonellas Stimme: Trink wenigstens ein Glas Milch, Laura.
    Schweigen. Rascheln von Stoff. Anzeichen dafür, dass sie im Bett lag.
    Wieder Simonella: Du kannst doch nicht so weitermachen, Laura. Wenigstens ein Glas Milch. Die hast du doch immer so gern vor dem Schlafengehen getrunken. Tu es für Giovanni.
    Laura Simonellas Stimme klang gedämpft durch den Stoff. Anscheinend hatte sie die Decke über den Kopf gezogen: Giovanni wird nicht …

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