Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Großmutter Hallo gesagt hat. Das hätten sie gar nicht gemerkt. Sie wären nie darauf gekommen.«
»Nein.«
»Und Oma hätten wir hinterher alles erklären können. Sie hätte das schon verstanden.«
»Nein, Merde, hätte sie nicht. Aber das ist schon okay. Das ist ja nicht wirklich sie. Die Einzige, die es hätte verstehen oder nicht verstehen können, lebt nicht mehr.«
Darüber dachte Meredith eine Weile nach. »Weißt du, was wir falsch gemacht haben? Wir haben sie damit überrumpelt .«
»Ich glaube nicht, dass das das einzige Problem ist.«
»Wenn wir sie darauf vorbereitet hätten, wäre es vielleicht besser gelaufen. Wenn wir sie sanft an die Sache herangeführt hätten.«
»Was meinst du mit sanft?«
»Vielleicht brauchen sie einfach ein bisschen Zeit«, sagte sie. »Die Technik macht ihnen An gst. Sie sind schon mit E-Mails von lebenden Menschen überfordert, da sind E-Mails von Toten natürlich erst recht angsteinflößend. Und Video-Chats waren auch noch nie ihr Ding. Irgendwann gewöhnen sie sich dran.«
»G laube ich nicht. Müssen sie ja auch nicht. Das Programm ist nicht für sie gedacht. Es war von Anfang an nur für dich.«
Aber Meredith hörte ihm überhaupt nicht zu. »Die beiden sind wirklich nicht die Richtigen für so was. Sie sind keine guten Testpersonen.«
»Testpersonen?«
»Ic h bin so bescheuert! Weißt du, wen wir anrufen sollten? Dashiell! Natürlich, wen sonst? Warum ist mir das nicht früher eingefallen?«
Sam antwortete nicht. Er konnte ihr nicht ganz folgen, war sich aber sicher, dass die letzte Frage rein rhetorisch gewesen war.
D ashiell
Dashiell war die Art von Cousin (mit der Art von Bankkonto), die man am Tag nach Thanksgiving um 14.30 Uhr anrufen konnte, nachdem die eigenen Eltern nach dem Brunch aus der Wohnung gestürmt waren, und die rechtzeitig zu einem späten Abendessen in Seattle eintrafen, noch dazu mit dem besten Wein im Gepäck, den Sam und Meredith seit seinem letzten Besuch getrunken hatten, und Schokoladenkuchen von Hellner’s, der Konditorei in der Nähe seines Lofts, die den besten Schokoladenkuchen der ganzen Welt machte. Sam hoffte, dass Meredith einfach nur ein Familienmitglied um sich haben wollte und Dashiell nicht herbeizitiert hatte, weil sie kurz davor war, Dummheiten zu machen. Für ihn war der Unterschied schwer festzustellen, weil seine eigene Familie und sein eigenes Gespür für Familiendinge so klein waren. Seit er denken konnte, hatte es immer nur ihn und seinen Vater gegeben, ihn und seinen Vater. Er hoffte, dass es um mehr ging als um Merediths plötzliches und unüberlegtes Bedürfnis, Livvie mit anderen zu teilen. Es war Thanksgiving, und sie hatte nicht nur ihre Großmutter verloren, sondern auch noch den Zorn ihrer Eltern auf sich gezogen, die sie noch distanzierter behandelten als sonst. Da ihre Familie also immer kleiner wurde, musste sie alle Reserven mobilisieren. Sam war zwar der Ansicht, dass Dash mit seinem L. A.-Schick, dem coolen Hollywood-Gehabe, seinen Verbindungen und seinem Hofstaat der Falsche für diese Aufgabe war, aber das lag daran, dass er Merediths Cousin nicht richtig kannte. Dash hatte sich mit erschrockener Anteilnahme Merediths Bericht über die wütende Reaktion ihrer Eltern angehört (auch wenn sie den Grund dafür zunächst aussparte) und ihr vollkommen darin zugestimmt, dass es kein schlimmeres Gefühl auf der ganzen Welt gibt, als die eigenen Eltern zu enttäuschen. Er hatte alles stehen und liegenlassen und war sofort gekommen.
Zuerst betranken sie sich alle drei. Julia und Kyles Reaktion hatte eindrucksvoll bewiesen, dass man mit dieser ganzen Sache auf keinen Fall nüchtern konfrontiert werden sollte. Und weil es keine Möglichkeit gab, sich langsam an das Thema heranzutasten (»Und? Hast du in letzter Zeit von Livvie gehört?«), stürzten sie sich eben angeschwipst hinein. Letzten Endes erschien es ihnen einfacher, Dashiell zu zeigen, um was es ging, als es ihm zu erklären. Livvie mitten in der Nacht anzurufen war kein Problem, sie schlief sowieso nicht.
»Ich möchte gerne, dass du mit jemandem sprichst. Per Video-Chat «, sagte Meredith.
»Deine Freun de sind auch meine Freunde «, antwortete Dash. »Das weißt du doch.«
Zuerst der Klingelton, dann der Verbindungsaufbau und ihr eigenes Kamerabild auf dem Bildschirm, wie sie erwartungsvoll ins Leere starrten. Dann ging ein Fenster auf, und Livvie erschien. Sie freute sich natürlich, Meredith zu sehen, aber als sie auch Dashiell
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