Der Bilderwächter (German Edition)
Marten.
Der Kater wandte den Kopf. Seine großen Augen starrten sie an.
» Lieb von dir«, sagte Ilka. » Aber im Moment bin ich hier ganz gut aufgehoben.«
Sie hörte Martens Atem. Der Kater begann zu schnurren.
» Wenn du mich brauchst«, sagte Marten, » ich bin für dich da.«
Ilka glaubte ihm. Noch eine Weile, nachdem das Gespräch zu Ende war, hielt sie das Handy in der Hand und erwiderte den Blick des Katers, der alles zu wissen schien und alles zu verstehen.
*
Als Mike nach Hause kam, fand er Ilka in ihrem Zimmer vor. Sie saß im Dunkeln, hatte nicht mal eine Kerze angezündet. Als er auf den Lichtschalter drückte, bedeckte sie die Augen mit der Hand.
» Entschuldige.« Mike drückte noch einmal auf den Schalter. Im schwachen Lichtschein, der vom Flur ins Zimmer fiel, konnte er sie reglos dasitzen sehen.
Ihr Handy, das neben ihr auf dem Sofa lag, meldete sich. Gleichzeitig begann das Festnetztelefon in der Diele zu klingeln.
Ilka nahm das Gespräch nicht an, und als Mike zum Telefon laufen wollte, hielt sie ihn zurück.
» Geh nicht ran, bitte.«
Er wusste sofort, was das bedeutete. Handy und Telefon verstummten und begannen erneut zu läuten.
» Wie lange geht das schon so?«, fragte er.
» Die ganze Zeit.« Ilkas Worte kamen schleppend. » Seit ich hier bin.«
Er hätte sie nicht alleinlassen dürfen. Nicht in dieser Situation. Er war ein Idiot.
» Warum lässt du dein Handy denn an?«, fragte er.
Sie hob die Schultern, fast wie in Trance. Wenn sie massiv unter Druck geriet, knipste sie ihr Bewusstsein aus und ging auf Stand-by. Mike kannte das. Er wünschte, er wäre früher hier gewesen, um sie da wieder rauszuholen. Er hob ihr Handy auf und schaltete es aus.
» Komm.« Er reichte ihr die Hand. » Wir trinken noch einen Kakao, bevor wir losfahren.«
» Onkel Knut.« Sie erhob sich in Zeitlupe. » Hatte ich ganz vergessen.«
In der Küche strichen ihnen die Katzen um die Beine.
» Gibst du ihnen was?«, fragte Mike.
Es war gut, wenn Ilka sich um die Katzen kümmerte. Das brachte sie schneller zurück. Sie bückte sich nach den Futterschalen, streichelte Smoky, Donna und Julchen und rief nach Klecks.
Mike atmete auf. Der Bann war gebrochen.
Er stellte das Telefon auf lautlos und schäumte Milch auf. Das Abendessen bei ihrem Onkel und ihrer Tante war genau das, was Ilka jetzt brauchte.
Unter gar keinen Umständen durfte sie im Moment allein sein.
*
Die Stadt kam Marten leer vor ohne Ilka, die Kunstakademie wie ein fremder Ort. Lustlos lief er über die Flure. Er war auf dem Weg zu dem Arbeitskreis, den er mit einigen Studenten ins Leben gerufen hatte.
Sie vertieften Themen, teilten Informationen und tauschten Unterlagen aus. Vor allem jedoch arbeiteten sie auch praktisch zusammen. Gerade bereiteten sie ihre erste kleine interne Ausstellung vor, unabhängig vom Rundgang im Februar, an dem die Studenten jährlich zum Abschluss des Wintersemesters ihre Arbeiten zeigten.
Die Nachricht im Express war Tagesthema in der gesamten Akademie. Marten war ganz froh darüber, dass Ilka nicht hier war. Jeder hätte sie angesprochen und versucht, mehr zu erfahren.
Sogar ihn hatten sie schon zu löchern versucht.
Du bist doch mit Ilka befreundet.
Es schmeichelte ihm, diesen Satz zu hören. Es tat ihm gut, Ilka auf diese Weise nah zu sein. Aber natürlich stimmte er nicht. Jedenfalls nicht in dem Maß, in dem Marten sich eine Freundschaft mit Ilka wünschte.
Wenig später betrat er den Werkraum, in dem die Arbeitsgruppe verabredet war. Sie diskutierten ihre Arbeiten und legten den Zeitrahmen fest, der ihnen noch zur Fertigstellung zur Verfügung stand.
Sie hatten sich für ein gemischtes Projekt entschieden. Bilder, Skulpturen und Fotografien waren entstanden. Und das Bühnenbild zu einem Theaterstück, das es nicht gab.
Marten hatte sich an einer Gipsfigur versucht. Einem Zwitterwesen, halb Mann und halb Frau, die eine Hälfte weiblich rund, die andere kantig und hart, mit deutlich maskulinen Zügen.
Eine Variante seines Lieblingsthemas.
Sie und ich.
Doch das verriet er keinem.
Er war nicht bei der Sache, seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Ilka war nach Hause gefahren, und das bedeutete gleichzeitig: zu Mike, der das unverschämte Glück hatte, mit ihr leben zu dürfen. Er teilte ihren Alltag, ging mit ihr ins Bett und wachte morgens neben ihr auf.
Liebte sie …
Stell es dir nicht vor, sagte Marten sich. Lass die Bilder nicht zu.
Wenn er die Augen schloss, konnte er Ilkas
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