Der Bund der Illusionisten 1
auf meine Tür zu und kam an der stillen Reihe von Statuen mit ihren Marmorgesichtern vorbei, die im Halbdunkel grimmig aussahen. Und dann begann die letzte Lampe auch noch zu flackern, und die Schatten der steinernen Wächter fingen an zu tanzen.
Jemand hatte einen Luftzug vor meiner Tür erzeugt. Ich blieb stehen, unschlüssig über das, was ich da sah. Die Gestalt eines Mannes, der jedoch keinerlei Substanz besaÃ. Ein durchscheinender, ätherischer Mann, ein Gemälde auf Glas. Nein, kein Gemälde. Er bewegte sich.
Ich tat zwei Dinge auf einmal, beide instinktiv. Ich versteckte mich hinter einer Statue und zog mein Messer. Und dann stand ich reglos da, während sich sämtliche Haare auf meinen Armen aufstellten. Der Mann ging durch meine Tür und in mein Schlafzimmer. Ich hatte meine Tür verschlossenâ und sie war immer noch verschlossen. Der Mann war durch die polierten Bretter hindurchgegangen. Und verschwunden.
Ich glaubte nicht an die Geister von Toten. Ich war auch nicht abergläubisch oder neigte zu Halluzinationen, und ich lieà mich auch nicht leicht durch optische Täuschungen oder Taschendiebe hereinlegen. Ich wollte eine logische Erklärung. Und doch, als ich da in der Stille stand und unter dem Arm einer lebensgroÃen, auf einem Sockel stehenden Statue von Bator Korbus hervorblinzelte, lief mir ein Schauder das Rückgrat entlang. Ich holte tief Luft und versuchte mich zu erinnern, was genau ich gesehen hatte.
Einen nackten Mann von etwa meiner GröÃe, vielleicht auch eine Spur gröÃer. Muskulös und so schön gestaltet wie die Statue eines nackten Kämpfers der jährlich stattfindenden Spiele. Ich hatte sein Gesicht nicht gesehen, aber seine geschmeidigen Bewegungen zeugten davon, dass der Mann noch jung war. Seine Haare waren für einen Tyraner viel zu lang. Er hatte sie, wie es bei den Karden üblich war, im Nacken mit einem Band zusammengebunden. Seine Haut könnte so braun wie die der Karden gewesen sein, allerdings war das schwer zu sagen, da er so⦠ätherisch gewesen war. Ich hatte durch ihn hindurchgesehen, dessen war ich mir sicher, so wie man durch ein Glas Wein sehen konnte, das man ins Licht hielt.
Ein Geistwesen hatte gerade mein Zimmer betreten. Ein Geist aus Acheron?
Oder vielleicht ein Gott in irgendeiner auÃerweltlichen Gestalt?
Ich konnte nicht glauben, dass ich das dachte. Es war Wahnsinn. Was geschah mit mir?
Ich blieb, wo ich war, immer noch reglos. Ich dachte daran, das Haus aufzuwecken, aber dann unterdrückte ich den Gedanken sofort wieder. Ich war ein Kamerad der Bruderschaft, nicht irgendeine mondsüchtige Verrückte. Ich konnte nicht zugeben, dass ich vor einem Geistwesen Angst hatte. Und wenn ich sagte, dass ich einen Geist gesehen hatte und niemand sonst ihn sah, würde ich mich zum Gespött der Leute machen. Also blieb ich, wo ich war, schwitzte in der kühlen Nachtluft und wartete auf⦠mochte die Göttin wissen, worauf ich wartete.
Fünf Minuten später kam das Geistwesen durch die Tür zurück. Doch es ging nicht, es sickerte durch die Tür. Und blieb stehen. Es schwebte da und drehte dann das Gesicht langsam in meine Richtung. Seine Gesichtszüge waren zu durchscheinend, als dass ich sie hätte erkennen können. Auf seinem Handrücken war ein dunkler Kreis, wie von einer Wunde.
Ich hielt den Atem an. Meine Haut kribbelte. Ich stand in der Dunkelheit und er im Licht der Lampe vor meiner Tür. Wenn sein Augenlicht normal war, hätte er Schwierigkeiten haben müssen, mich zu sehen, so verborgen, wie ich war. Aber er war aufmerksam und gespannt. Tatsächlich verhielt er sich so, wie ich es tat, wenn ich meine Sinne nach drauÃen sandte. Ich versuchte meinerseits, ihn zu spüren, aber es gelang mir nicht. Das verblüffte mich nicht, denn er war nur ein Geistwesen. Oder ein Schemen. Oder etwas ähnlich Ungreifbares.
Ich dachte: Er kann mich nicht sehen, aber er weiÃ, dass ich da bin.
Einen langen Moment, in dem ich den Atem anhielt, standen wir einfach nur so da. Dann drehte er sich um und verschwand, glitt davon wie Nebel im Wind.
Als ich wieder in meinem eigenen Zimmer war, deutete nichts darauf hin, dass jemand während meiner Abwesenheit hier gewesen war. Nichts hatte sich verändert. Es gab keinerlei Flecken auf dem Boden.
Ich zitterte, als würden sich die Grundfesten meines Lebens auflösen und ich könnte nirgends
Weitere Kostenlose Bücher