Der Chirurg von Campodios
Krebs, der Topas dem Zwilling, der Karneol dem Stier und der Sardonyx dem Widder.«
»Ich verstehe, das Ganze scheint eine Wissenschaft für sich zu sein.« Vitus senkte erleichtert den Kopf. Das Starren nach oben hatte ihm einen steifen Nacken beschert. »Aber was ist mit den anderen Steinen, die keine spezielle Zuordnung haben?«
»Mit den anderen Steinen, Monsieur
le docteur
?« Achille gestattete sich ein überlegenes Lächeln. »Das zu weit führt. Aber die anderen ich nenne Zodiac-Steine; sie, ähhh, Kraft haben für alle Menschen gleich, wie Lapislazuli zum Beispiel,
compris
?«
»Sicher. Weißt du, es müsste Steine geben, mit deren Hilfe man einen Menschen aufspüren kann.«
»Einen Menschen aufspüren?« Achille blickte erstaunt. »Du redest
énigmatique
, ähhh, in Rätseln.«
Vitus winkte ab. »Ich will dich nicht langweilen, Arielle, aber wir haben noch immer keine Spur von Arlette. Und das, obwohl wir die Suche schon auf die Halbwelt Habanas ausgedehnt und zahllose finstere Gestalten befragt haben. Kennst du einen Mann namens Sanceur?«
»Sanceur, ähhh, der Sklavenhändler?« Achille verzog das Gesicht. »Ein übler Bursche. Keine, ähhh, wie sagt man?, leuchtende Beispiel für einen Franzosen.«
»Du sprichst mir aus dem Herzen. Immerhin hört der Bursche im Hafen die Mäuse husten. Außerdem hat er mir erlaubt, die ›menschliche Ware‹ zu untersuchen, bevor er sie ankauft. Auf diese Weise bleibt den armen Kreaturen das unwürdige Betasten und Befingern durch lüsterne Hände erspart.«
»Ich verstehe. Aber warum tust du das,
mon ami
?«
»Warum hast du Jaime geholfen?«
»Nun,
mon ami
…«
»Siehst du, ich helfe aus demselben Grund. Außerdem haben der Magister und ich uns vor längerer Zeit geschworen, die Unfreiheit zu bekämpfen, wo immer wir ihr begegnen. Und du kannst sicher sein: Bald werden wir versuchen, Sanceurs ›Ware‹ zur Flucht zu verhelfen. Die Vorbereitungen laufen schon.«
»Du und deine Freunde, ihr seid, ähhh, bemerkenswerte Leute,
mon ami
, ich bin stolz, zu kennen euch.«
»Das Kompliment kann ich zurückgeben.«
Noch bevor zwischen den beiden Verlegenheit aufkommen konnte, erschien mit schnellen Schritten die Schankmagd. Sie hielt einen verhüllten, rechteckigen Gegenstand in den Händen, den sie Achille übergab.
»Ahhh, Louise.« Der Hermaphrodit ergriff das Paket. »
Merci
, Kindchen. Nun geh wieder hinüber,
oui
?«
Achille wickelte den Gegenstand aus. Er entpuppte sich als das Brustporträt einer älteren Frau in schlichtem schwarzem Gewand. Aus ihrem in der Mitte gescheitelten Haar ragte eine Vogelfeder empor. Die schmalen Augen und die hohen Jochbeine wiesen sie als Indianerin aus. Insgesamt hatte das Bildnis keinen hohen künstlerischen Wert, auch wenn eine Ähnlichkeit mit der Porträtierten durchaus gegeben sein mochte. »Es soll zeigen die, ähhh,
maman
von Francisca. Francisca will kommen darüber ins Gespräch mit ihrer Mutter,
compris
, und ich ihr helfe dabei.«
Vitus betrachtete das Gemälde. »Ich verstehe dich nicht. Es ist doch nur ein Bild! Wie soll es Francisca helfen, mit ihrer Mutter zu reden? Und vor allem: Warum sollte sie das wollen?«
»Ahhh, Monsieur Allem-auf-die-Grund-Geher! Francisca wird haben ein Kind, und das Kind muss haben einen Namen,
n’estce pas
?«
»Ja, gewiss. Na und?«
»Und diesen Namen Francisca will, wie sagt man?, abstimmen mit ihrer
maman
, und ich, ich werde die
maman
dazu, ähhh, zu die Leben erwecken.«
»Du willst ein Bild zum Leben erwecken? Unmöglich! Das musst du mir näher erklären.« Kopfschüttelnd beugte Vitus sich vor.
Achille spitzte die Lippen und setzte eine vielsagende Miene auf. »Ich werde es erklären,
mon ami
, weil du es bist.« Er stand auf und bedeutete Vitus, ihm zu folgen. Sie gingen zu der Nische, in der Jaime behandelt worden war, einem winzigen Raum, von dem Vitus angenommen hatte, dass er das Innerste von L’Escargot darstellte. Doch zu seiner Überraschung betätigte Achille einen Wandmechanismus, woraufhin sich eine Geheimtür auftat, die in einen weiteren, merkwürdig anmutenden Doppelraum führte. Sie gingen hinein und machten bei einem nachtblauen, mit silbernen Sternzeichen geschmückten Vorhang Halt. Achille begann mit einer wortreichen Erklärung, wobei er lebhaft mit dem Porträt herumfuchtelte. Vitus verstand anfänglich kaum etwas, aber durch geduldiges Nachfragen stellte sich am Ende heraus, dass der Doppelraum eine Art Spiegelkabinett war. Er diente dazu,
Weitere Kostenlose Bücher