Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
kleiner fühlte.
»Nein. Ich... Bitte.«
»Du weißt, dass ich jederzeit schreien kann?«
»Ja. Aber das wird nicht nötig sein.«
Die Dienerinnen hatten aufgehört zu kichern. Jetzt musterten sie ihn mit einer anderen Neugier, ernster, interessierter. Er versuchte, sie nicht zu beachten, und folgte Anula ein paar Schritte zur Seite. Fort von ihnen und den Waschtrögen, fort von dem leeren Drachenkäfig, hinüber an die hohe, zinnenbewehrte Mauer des Anwesens. Als Anula schließlich stehen blieb, weit entfernt von den neugierigen Ohren der anderen Dienerinnen, hielt er einen Schritt Abstand. Er wagte es nicht, näher zu kommen oder sie gar zu berühren.
»Bist du gerannt?«, fragte sie unvermittelt.
»Äh, ja«, stammelte Ben, vollkommen überrumpelt. Stand ihm noch immer der Schweiß auf der Stirn?
»Hast du es so eilig gehabt herzukommen?«
»Äh, nein. Ja, doch. Irgendwie schon.«
»Aha. Und warum bist du hier?« Ihre Stimme klang nicht mehr ganz so schneidend.
»Ich... ich wollte dich sehen.« All seine Überlegungen und ach so raffinierten Pläne, sie geschickt über die Ruine oder die gesuchten Geächteten auszufragen, waren hinfällig. Sie hatte ihn vollkommen durcheinandergebracht mit ihrer Fragerei und ihrer Schönheit.
»Warum? Um mir weitere Lügen zu erzählen? Ich weiß, wer du bist. Warum bin ich nur auf den Schwachsinn von einem geheimen Auftrag hereingefallen? Bürgermeistersohn, als käme es darauf an!«
Was sollte er darauf erwidern? Natürlich hatte er sie belogen, aber das, was der Orden auf seinen Steckbriefen verbreitete, war noch viel weniger die Wahrheit. Er brachte nicht mehr heraus als ein einfaches: »Ich kann dir alles erklären.«
»Ich warte«, sagte sie spitz, und ihre Augen blitzten ihn wieder wütend an, doch sie hatte noch immer nicht nach den Wachen geschrien. Ein Schrei, und sie wäre um tausend Gulden reicher. Oder um wie viel auch immer, schließlich war er nur ein Drittel der Gesuchten, und das auch nur, wenn man die Drachen nicht mitrechnete.
»Ich bin kein Bürgermeistersohn, aber ich habe auch niemanden getötet.« Nicas Vater galt nicht, das war kein Mord, und jetzt war überhaupt keine Zeit für die ganze Wahrheit, sondern nur für eine Kurzfassung, für den wichtigsten Teil der Wahrheit. »Ich bin auch kein Ketzer und ganz sicher nicht mit Samoth im Bunde. Ich bin hier, weil ich dich... ähm, also, na ja, deinetwegen...«
Er war immer leiser geworden und verstummte schließlich mit offenem Mund und wild schlagendem Herzen. Sein Kopf fühlte sich so heiß an, als wäre er nicht einfach nur rot, sondern stünde in Flammen. Das hatte er wirklich nicht sagen wollen – es war ihm einfach rausgerutscht.
»Das wagst du mir einfach ins Gesicht zu sagen? Jetzt, wo alle Welt dich sucht?« Sie schrie beinahe und starrte ihn so voller Zorn an, dass Ben fast zurückgewichen wäre. »Und woher soll ich überhaupt wissen, dass du die Wahrheit sagst?«
»Du musst mir glauben«, beschwor er sie. Jetzt, da seine Gefühle einmal ausgesprochen waren, zumindest irgendwie, war es leichter weiterzureden. »Gefühle kann man nicht beweisen.«
»Deine Gefühle glaube ich dir, schau dich doch an. Rennst am helllichten Tag durch eine Stadt, in der du gesucht wirst, und begibst dich wie ein Trottel in meine Hände! Aber woher soll ich denn wissen, dass du tatsächlich niemanden getötet hast?«
»Ich...« Wie konnte sie so etwas nur fragen? Wenn sie ihn liebte, konnte sie ihn doch nicht für einen Mörder halten. Und wenn sie ihn nicht liebte, konnte es ihr egal sein. »Wenn du mich für einen Mörder hältst, dann schrei doch. Schrei nach den dämlichen Wachen und kassier dein verdammtes Geld.«
Anula öffnete den Mund und starrte ihn an. Nicht mehr nur zornig, sie wirkte verärgert, traurig, verzweifelt und enttäuscht zugleich. Sie ballte die Fäuste und atmete tief ein. »Warum bist du hier, verdammt noch mal? Du hättest geschnappt werden können.«
»Komm mit mir!«, beschwor er sie. Sie hatte nicht geschrien, sie musste ihn auch lieben! Ganz egal, was sie sagte. So waren Mädchen nun einmal, hatte ihm Yanko erklärt. Kompliziert. Ben wollte unbedingt, dass sie mitkam. Er würde ihr die wahre Natur der Drachen zeigen, sie würde alles verstehen und bei ihm bleiben, sich mit Yanko und Nica anfreunden, und...
»Mit dir kommen? Was denkst du dir! Du bist ein Geächteter, das ganze Land ist hinter dir her. Du dämlicher gedankenloser Steingnom, noch vor dem Winter haben
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