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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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gerade rot vom Horizont erhoben. Hatte das Tor von oben noch winzig gewirkt, so fühlte sich Ben nun wie ein unbedeutender Zwerg. Der Durchgang war bestimmt ein Dutzend Schritt hoch, und darüber prangte das große Mosaik einer goldenen Sonne. Wasserblaue Banner, Hellwahs Symbol und das des Drachenordens wehten über den mächtigen Zinnen sowie das Fischwappen des Stadtfürsten. Die stählernen Strahlen auf der wuchtigen Stadtmauer blinkten im Licht der aufgehenden Sonne. Schon Falcenzca hatte ihn beeindruckt, doch erst jetzt verstand Ben, wie klein seine Heimatstadt Trollfurt wirklich war.
    Die ersten Reisenden, die im Gasthaus vor dem Tor übernachtet hatten, weil sie erst nach Schließung der Tore hier angekommen waren, betraten die Stadt. Sie trugen die unterschiedlichsten Trachten, bis zu den Knien hängende Hemden, wie Ben sie noch nie gesehen hatte, oder mit zahlreichen Schnüren und Bändern versehene, gescheckte Hosen aus einem kuhähnlichem Fell, die nur bis zu den Waden reichten. Sogar einen Mann in weitem Hemd und gestreiftem Rock aus grobem Stoff konnte er ausmachen. Um dessen Hals baumelte eine furchtgebietende Kette aus zahlreichen gebleichten Knochen, wahrscheinlich wurde er deshalb von niemandem für den Rock ausgelacht. Auch Ben unterdrückte ein Glucksen. Der Torwächter scherzte jedoch völlig entspannt mit dem Mann, als wären Röcke tragende Männer keine Seltenheit.
    Ein harmloses Schlaflied pfeifend, schritt Ben an ihnen vorbei nach Chybhia hinein. Niemand kam auf die Idee, ihn aufzuhalten.
    »Nicht so schnell, Junge!«, erscholl es da plötzlich doch hinter
ihm. Er war erst wenige Schritte weit in die Stadt hineingekommen. Sein Bauch zog sich zusammen, alle Muskeln spannten sich an.
    Flieh!, schrie ihm jede Faser seines Körpers zu. Doch wie sollte er in dieser Stadt jemandem entkommen? Er kannte nicht eine der so früh nur spärlich belebten Straßen, er wusste nicht, wohin sie führten, wo die Sackgassen lauerten. Es gab keine Menschenmenge, in der er untertauchen konnte. Mit hetzendem Herzen blickte er über die Schulter zurück.
    »Was ist denn jetzt noch?«, fragte ein dunkelhaariger Bursche nur drei, vier Schritt von Ben entfernt und wandte sich einem alten Mann mit roter Nase zu, der aus der Tür des ersten Hauses hinter dem Tor schaute.
    »Bring doch gleich noch ein mittleres Käserad mit, eins von den würzigen. Die Verwandtschaft deiner Mutter ist schrecklich verfressen.«
    Im Haus keifte irgendwer, und der Alte schrie hinein: »Und ob!«
    Der Bursche nickte und stapfte müde und griesgrämig auf Ben zu und an ihm vorbei.
    Hörbar stieß Ben die Luft aus.
     
    In den folgenden zwei Stunden lief er kreuz und quer durch die Stadt, und der Eindruck, den er aus der Luft gewonnen hatte, bestätigte sich: Chybhia war reich. Viele der Häuser waren prächtig und hatten breite, mit herrlichen Schnitzereien verzierte Türen. Mosaiken mit Halbedelsteinen zierten manche Wand, und viele der Städter trugen Kleidung aus edlem Tuch und schweren Schmuck aus Gold und Silber, Ringe und Anhänger mit großen, glitzernden Steinen. Sie waren wohlgenährt und gut frisiert.

    Doch zugleich entdeckte er mehr Bettler auf den Straßen als in Falcenzca, kleine Mädchen ebenso wie alte Männer. An vielen Kreuzungen kniete eine der zerlumpten Gestalten und hielt den Passanten die geöffneten Hände entgegen. Manch einer presste gar unterwürfig die Stirn aufs Pflaster und wartete reglos auf jede kleine Gabe, die man ihm in die Hand werfen möge. Andere saßen mit untergeschlagenen Beinen hinter einem alten verbeulten Hut, in dem drei oder vier Münzen blitzten. Manchem fehlte ein Körperteil, andere waren blind.
    Ganz zu Beginn hatte er sich gefragt, warum sich diese Leute nicht einfach etwas stahlen, so wie er sich in Trollfurt Äpfel und anderes geklaut hatte. Warum kratzten sie nicht nachts einen der wertvollen Steine von den Hauswänden? Davon gab es schließlich genug. Oder zogen einem der Wohlhabenden den Beutel aus der Tasche, auch davon gab es genug. Doch dann bemerkte er, wie viele Büttel hier herumliefen, die Blicke stets aufmerksam nach hier und da gerichtet. Dazu kamen noch zahlreiche Ritter und Leibwächter. Nein, wer hier arm war, der konnte kaum stehlen, der musste betteln.
    Mit offenem Mund schlenderte Ben umher, und nicht nur die prächtigen Häuser rangen ihm Bewunderung ab. Die Straßen führten von einem kleinen Platz zum nächsten, und auf vielen erhoben sich Gedenksäulen mit den Statuen

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