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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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Frage möchte ich noch stellen.«
    Sie hatte Abt Colmán in seinem Studierzimmer in der Abtei aufgesucht, die sich hinter dem Palas von Tara auf dem Burggelände
     befand. Der Abt saß an einem Tisch und hatte eine reichgeschmückte Handschrift vor sich. Er sah, dass ihr Blick als Erstes
     auf das Buch fiel und lächelte wohlgefällig.
    »Das ist das Evangelium des Johannes, unsere Brüder in Clonmacnoise haben es geschrieben. Ein herrliches Werk, es soll unseren
     Brüdern auf der heiligen Insel des Colmcille überreicht werden.«
    Schwester Fidelma schaute nur kurz auf die prachtvoll gestalteten Seiten der Handschrift. Die Schreiber und Buchmaler hatten
     wundervolle Arbeit geleistet, doch sie mochte mit ihren Gedanken nicht dabei verweilen. So fragte sie nach kurzer Pause: »Wenn
     im Königreich ernsthafte Kämpfe ausbrächen und man Ailill infolgedessen zum Hochkönig machte, würde |76| er dann von den althergebrachten Grundsätzen abweichen, die Sechnussach vertritt?«
    Die Frage überraschte den Abt, er ließ den Unterkiefer sinken und schaute verunsichert drein, fasste sich aber rasch und überlegte
     einen Moment. »Ich denke, das könnte ich mit ja beantworten.«
    »Würde Ailill in einem solchen Falle auf Äbte und Bischöfe Druck ausüben, die Kirche zu reformieren?«
    Colmán kratzte sich hinterm Ohr. »Es ist kein Geheimnis, dass Ailill eine Annäherung an die Kirche Roms befürwortet, denn
     er hält die erforderlichen Reformen für gerechtfertigt. In den Stämmen der Uí Néill gibt es nicht wenige, die ebenso denken.
     Cernach Mac Diarmuid zum Beispiel. Er setzt sich unter den Laien in besonderem Maße für derartige Reformen ein. Ein Heißsporn
     mag er ja sein, aber er hat ziemlichen Einfluss. Er ist ein Jüngling, der dem Thron von Tara nahesteht, wird jedoch erst in
     einem Monat volljährig und darf dann den ihm zustehenden Platz in den Ratsversammlungen der fünf Königreiche einnehmen.«
    »Sechnussach aber hält nichts von diesen Wandlungen und würde an den traditionellen Riten und der Liturgie unserer Kirche
     festhalten?«
    »Zweifelsohne.«
    »Und du, als einer von der pro-römischen Gruppierung, würdest du Ailills Vorgehen gutheißen?«
    Der Abt war empört und wurde rot.
    »Das würde ich. Meine Haltung habe ich nie verborgen. Doch gleichzeitig betone ich unmissverständlich, dass ich die Gesetze
     achte. Dem Hochkönig, der nach diesen Gesetzen gewählt wurde, halte ich die Treue. Als Anwältin bei Gericht der Brehons hast
     du ein besonderes Vorrecht, doch darf ich dich daran erinnern, dass ich der Abt von Tara bin und damit auch Vater und Vorgesetzter
     deines Ordens.«
    |77| Schwester Fidelma neigte ergeben das Haupt.
    »Ich versuche lediglich, Fakten zusammenzutragen, Abt Colmán. Und ich stelle meine Fragen als eine
dálaigh
beim Obersten Gericht, nicht als Glaubensschwester der Abtei Kildare.«
    »Gut, dann biete ich dir so einen Fakt: Ich habe Ailill Flann Esa beschuldigt. Hätte ich gebilligt, was er getan hat, um Sechnussach
     zu stürzen, nur weil Ailill vorhatte, die Kirche in Irland mit der von Rom in Übereinstimmung zu bringen, dann wäre ich doch
     nicht bereit gewesen, derart rasch auf Ailill als den Schuldigen zu zeigen. Ich hätte die Wächter leicht überreden können,
     dass jemand anderes die Tat vollbracht hat.«
    »Das hättest du tun können«, bestätigte ihm Fidelma. »Wenn Ailill sich aber an dem Heiligtum vergangen hat, hast du davon
     keinen Nutzen.«
    »Genauso ist es«, brummte der Abt. »Und ich bleibe dabei, Ailill ist der Schuldige.«
    »So scheint es zu sein.«
    Fidelma war im Begriff zu gehen, blieb stehen und blickte zurück. »Übrigens, da ist noch eine Kleinigkeit, über die ich mir
     Klarheit verschaffen möchte. Wie hat es sich ergeben, dass du ausgerechnet zu dem besagten Zeitpunkt in der Kapelle erschienen
     bist?«
    Der Abt runzelte die Stirn. »Ich hatte meinen Psalter in der Sakristei vergessen«, erwiderte er gereizt, »und den wollte ich
     mir holen.«
    »Wäre der dort nicht auch bis zum Morgen sicher verwahrt gewesen? Allein deshalb hat es dich nachts in der Kälte in die Kapelle
     getrieben?«
    »Es war mir dringlich, eine Stelle im Text nachzuschlagen; allerdings musste ich nicht durch die kalte Nacht gehen …«
    |78| »Nicht? Wie konntest du denn sonst in die Kapelle gelangen?«
    Der Abt stöhnte ungehalten. »Es gibt einen unterirdischen Gang, der von der Abtei in die Sakristei führt.«
    Fidelma war wie vom Donner gerührt.

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