Der FC Bayern und seine Juden
an. Als Schiedsrichter amtiert der niederländische Jude Leo Horn, Zeitungskolumnist und Besitzer einer Textilfabrik.
Leo Horn ist ein Held des niederländischen Widerstands. 1941 wurde dem Referee auf Anweisung der deutschen Besatzer vom niederländischen Verband die Pfeife entzogen. Horn schloss sich der niederländischen Widerstandsbewegung an und operierte hier unter den Decknamen »Doktor Van Dongen« und »Ingenieur Varin«. Zu seiner Widerstandsgruppe gehörte auch Kuki Krol, Vater des späteren Ajax-Stars und Kapitän der niederländischen Nationalelf Ruud Krol. Mit einem weißen Kittel bekleidet und einem Stethoskop ausgerüstet, gelang es Horn, eine von der Gestapo gesuchte Schlüsselfigur des Widerstands in das Amsterdamer Wilhemina Gasthuis Hospital zu schmuggeln. Ein anderes Mal war er an der Eroberung von Munitionswaggons der Besatzungsarmee beteiligt. Zehn deutsche Soldaten fanden sich gefesselt und geknebelt.
Leo Horn überlebte den Holocaust, ebenso sein Bruder George, den Kuki Krol mit zwölf weiteren Juden in seiner Wohnung über einem Amsterdamer Café versteckt hatte. Ein weiterer Bruder, Edgar Horn, wird im KZ ermordet.
Leo Horn steigt nach dem Zweiten Weltkrieg zum internationalen Top-Referee auf. Am 21. November 1953 leitet er die legendäre Begegnung zwischen England und Ungarn, die Puskás, Hidegkúti und Co. vor 105.000 Zuschauern im Londoner Wembleystadion mit 6:3 gewinnen. Ungarns Coach Gustav Sebes hatte anschließend nur Lob für den Niederländer übrig: »Uns war zunächst ein wenig bange vor einem Schiedsrichtergespann aus dem Westen. Wir kannten den Schiedsrichter und seine Linienrichter nicht. Nun wissen wir, was wir an ihm haben. Horn war ein neutraler Schiedsrichter.«
Neutral und sportlich fair verhält sich der renommierte Referee auch gegenüber dem Verein aus dem Land der ehemaligen Besatzermacht. Der FC Bayern gewinnt in Rotterdam durch zwei Tore von Dieter Brenninger mit 2:1.
Anschließend legt eine Delegation des FC Bayern einen Kranz am Grab des ersten Meistertrainers nieder. Es ist für mehr als vier Jahrzehnte das letzte Mal, dass sich der Klub öffentlich der Verdienste seiner jüdischen Funktionäre und Angestellten erinnert.
Kapitel 12
Der lange Marsch zur eigenen Geschichte
Mit einer Mannschaft voller junger Talente steigt der FC Bayern 1965 in die Bundesliga auf. Zu diesem Zeitpunkt sind Franz Beckenbauer und Gerd Müller, beides »Nachkriegskinder«, 19 Jahre alt, Sepp Maier ist 21. Alsbald machen sie sich daran, die Nr. 1 in Deutschlands Fußball zu werden, und ein Jahrzehnt später dominieren sie auch auf dem internationalen Parkett, wo sie von 1974 bis 1976 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister holen. Regie führt »Kaiser Franz«, »die personifizierte Eleganz auf dem Spielfeld« (»World Soccer«), der auch neben dem Platz eher »undeutsch« daherkommt. Für Günther Jauch hat der weltweit bekannteste Nachkriegsdeutsche »für das Image der Deutschen im Ausland mehr geleistet als 50 Jahre Diplomatie und zehn Jahre Goethe-Institut zusammen«.
Beckenbauer und die Bayern sind Exponenten eines Trends. Befreit von den Fesseln des Amateurgedankens, erlebt der deutsche Fußball in den Jahren 1963 bis 1974 einen liberalen Aufbruch, der sich auch sportlich niederschlägt. Die Nationalelf wird von Helmut Schön übernommen, der sich als junger Mann dem Beitritt in die SS und NSDAP widersetzt hatte und eine lebenslange Freundschaft mit Ignatz Bubis pflegt, dem späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Unter dem liberalen Schön wird die DFB-Elf 1966 Vize-Weltmeister, 1972 Europameister und 1974 Weltmeister. Das Team von 1972 wird auch von der Auslandspresse mit Attributen bedacht, die bis dahin anderen Fußballnationen vorbehalten waren. Für die englische »Times« spielen die Deutschen »elegant und einfallsreich«. Italiens »Corriere dello Sport« ergötzt sich nicht nur an einem »Schauspiel der Kraft«, sondern auch der »Phantasie und Genialität«.
Ein Buch und seine Folgen
Nur auf einem Feld regieren unverändert die alten Geister – unabhängig von Rückzug und Biologie behalten sie die Deutungshoheit über die Vergangenheit. Die Geschichte des deutschen Fußballs wird zunächst von denjenigen geschrieben, die an der Fußballpolitik der NS-Jahre führend beteiligt waren und nun um eine milde und bagatellisierende Betrachtung dieser Zeit bemüht sind.
Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet ein Buch, das 1954 in
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