Der Fluch der Sphinx
eingedrungen sind. Nach meiner Auffassung ist diese Tatsache bei dem Grabfund bislang nicht ausreichend beachtet worden.«
»Grabräuber?« wiederholte er bloß, ehe er aus dem Zimmerchen schlurfte.
Erica setzte sich vor den Bildschirm und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Sie hoffte, daß das Ägyptische Museum über möglichst viel Material verfügte. Talat kam und händigte ihr einen Schuhkarton voller Filme aus. »Skarabäus kaufen, Lady?« flüsterte er.
Ohne ihn einer Entgegnung zu würdigen, schaute Erica die Filmkassetten durch, die in englischer Sprache beschriftet waren und den Aufdruck des Ashmolean Museum trugen, wo die Originalunterlagen aufbewahrt wurden. Sie war vom Umfang des Materials aufrichtig überrascht und machte es sich bequem, denn offenbar würde sie eine ganze Zeit lang damit beschäftigt sein.
Erica schaltete das Filmgerät an und legte die erste Spule ein. Zum Glück hatte Carter seine Aufzeichnungen in einigermaßen leserlicher Schrift angefertigt. Erica las flüchtig den Abschnitt über die Arbeiterhütten. Es bestand kein Zweifel, man hatte sie direkt überm Eingang von Tutanchamuns Grab aufgebaut. Erica war nun fest davon überzeugt, daß Tutanchamuns Grab ausgeraubt worden war, bevor Ramses VI. die Herrschaft antrat.
Sie spulte den Film weiter ab, bis sie zu dem Abschnitt kam, in dem Carter seine Gründe erläuterte, die die Existenz von Tutanchamuns Grab als sicher erhärteten, ehe es entdeckt wurde. Das faszinierendste Beweisstück war für Erica ein blauer Fayencebecher mit der Kartusche Tutanchamuns, gefunden von Theodore Davis. Niemand hatte je danach gefragt, warum der kleine Becher am Hügel unter einem Felsen lag.
Sobald die erste Filmspule durchgelaufen war, legte Erica die nächste ein. Sie las über die Entdeckung selbst nach. Carter beschrieb ausführlich, wie man die äußeren und inneren Türen der Gruft im Altertum wieder verschlossen und mit dem Siegel der Totenstadt versehen hatte; das ursprüngliche Siegel Tutanchamuns ließ sich nur am unteren Rand jeder der Türen erkennen. Carter setzte in allen Einzelheiten auseinander, welchen Anzeichen er entnahm, daß die Türen zweimal aufgebrochen und zweimal wieder versiegelt worden waren, aber er äußerte keine Erklärung, warum.
Erica schloß die Augen und ruhte sich ein paar Minuten lang aus. Ihre Phantasie beförderte sie zurück in die Vergangenheit, zu der feierlichen Zeremonie, mit der man den jungen Pharao begrub. Dann versuchte sie, sich die Grabräuber vorzustellen. Waren sie während ihrer Tat zuversichtlich gewesen, oder hatten sie gefürchtet, die Wächter der Unterwelt zu erzürnen? Danach dachte sie an Carter. Welches Gefühl hatte er, als er das Grab zum ersten Mal betrat? Anhand seiner Aufzeichnungen hatte sich Erica dessen vergewissert, daß sein Mitarbeiter Callender, Lord Carnarvon sowie Camarvons Tochter dabei gewesen waren, ferner ein Vorarbeiter mit Namen Sarwat Raman.
Im Laufe der folgenden Stunden regte sich Erica kaum vom Fleck Sie konnte Carters Gefühl der Ehrfurcht und Verzauberung nachempfinden. Mit der ihm eigenen peinlichen Genauigkeit beschrieb er die Fundstelle eines jeden Gegenstands: der wie eine Lotosblüte geformten Alabasterschale und der Öllampe widmete er mehrere Seiten. Während sie den Text über die Schale und die Lampe las, erinnerte sich Erica an etwas, das sie an anderer Stelle gelesen hatte. Auf seiner Vortragsreise über den Grabfund hatte Carter erwähnt, die benachbarte Anordnung dieser beiden Gegenstände halte er für den Hinweis auf ein größeres Geheimnis, das er mit der eingehenderen Erforschung der Grabstätte ebenfalls aufzuklären hoffe. Er hatte hinzugefügt, die Anzahl goldener Ringe, die achtlos am Fußboden zurückgeblieben waren, deute darauf hin, daß man die Eindringlinge inmitten ihres Raubzugs überrascht habe.
Erica wandte den Blick vom Apparat und vermerkte bei sich, daß Carter annahm, die Gruft sei zweimal beraubt worden, weil man sie zweimal aufgebrochen hatte. Aber das war bloß eine Vermutung, und es konnte eine andere gleichermaßen einleuchtende Erklärung geben.
Nachdem sie den Anhang von Carters Notizen vom Fundort gelesen hatte, legte Erica eine Filmspule mit der Beschriftung »Lord Carnarvon: Akten und Korrespondenz« in den Apparat. Was sie darauf fand, war hauptsächlich geschäftlicher Schriftwechsel, der die finanzielle Unterstützung seiner archäologischen Unternehmungen betraf. Sie ließ den Film durchlaufen,
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