Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch von Melaten

Der Fluch von Melaten

Titel: Der Fluch von Melaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
mich schon von dem Gedanken an das World Trade Center befreien.
    Der Rhein lag sehr bald als breiter, friedlicher und schimmernder Strom unter uns, und die aus Westen scheinende Sonne strahlte gegen die Frontscheibe.
    »Noch immer geradeaus«, flüsterte er.
    »Okay.«
    Ich ging vom Gas, weil wir jenseits der Brücke in einen Ampelstau gerieten, und schaute nach rechts, wo Justus Schmitz saß, seine Lippen bewegte, aber nichts sagte.
    »Was quält Sie?«, fragte ich.
    »Alles.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich weiß nicht, ob wir richtig gehandelt haben, und ich weiß auch nicht, ob man Geister besiegen kann.«
    »Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«
    Er lachte etwas kratzig. »Haben Sie denn keine Angst, John?«
    »Nein. Nur ein Gefühl der Spannung.«
    »Gratuliere. Ich habe Angst. Ich spüre, dass ich näher an sie herankomme. Und meine Traumgestalt spürt das auch.« Er fluchte. »Ich weiß gar nicht, was das soll. Warum hat sie mich ausgesucht? Warum mich?« Er tippte zweimal gegen seine Brust. »Es gibt doch keinen Grund dafür. Oder sind Sie anderer Meinung, John?«
    »Ja, und da denke ich wie ein Kriminalist.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Dass es ein Motiv geben muss. Ich meine, das ist doch auch Ihre Denkweise, Justus.«
    »Genau«, gab er zu, »das müsste sie eigentlich sein. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich mich damit nicht anfreunden. Ich finde einfach kein Motiv. Ich bezweifle auch, dass dies mit meinem Beruf zusammenhängt. Schließlich führe ich ihn nicht so aus wie Sie, John. Sollte es ein Motiv geben, dann muss es ganz woanders liegen.«
    »So sehe ich das auch.«
    Er lachte wieder. »Dann sind wir uns ja einig.«
    Wenig später fragte ich ihn, welchen Weg ich nehmen sollte. Er wurde aus seiner Lethargie gerissen und lotste mich auf eine Strecke, die wohl nur den Kölnern bekannt war, denn wir fuhren durch Seitenstraßen, bis wir schließlich den Haupteingang des Friedhofs sahen und sogar das Glück hatten, noch eine Parklücke zu finden.
    »Geschafft«, sagte ich und stellte den Motor ab.
    Mein Nebenmann gab keine Antwort. Er saß da und hielt beide Hände gegen die Wangen gepresst. Sein Blick glitt nach vorn gegen die Scheibe, auf der sich ein Bild aus Licht und Schatten abmalte, denn die Sonne schien durch das Blätterwerk der vor uns stehenden Bäume und hinterließ deshalb das Bild auf der Scheibe.
    Ich wollte Justus schon eine Frage stellen, aber er sprach von allein. »Die Stimme ist wieder da.«
    »Wie stark?«
    »Gott.« Er ließ seine Wangen los und drückte den Kopf zurück. »So stark wie nie, John. Ich habe einfach das Gefühl, fast an der richtigen Stelle zu sein. Die andere Kraft merkt bereits, wo ich mich aufhalte.«
    »Dann wollen wir sie auch nicht warten lassen.« Ich hatte mich losgeschnallt und öffnete die Tür. Um hier parken zu können, musste ich einen Parkschein ziehen. Deutsches Kleingeld hatte ich von zu Hause mitgenommen, und so war es für mich kein Problem, den Parkschein zu ziehen und ihn sichtbar im Innern vor die Frontscheibe zu legen.
    Der Kollege Schmitz saß auch jetzt auf dem Beifahrersitz und hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Erst als ich ihm die Tür öffnete, zuckte er zusammen.
    Beim Aussteigen sprach er mich an. »Es ist alles so anders geworden, John!«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »Das hängt mit der Stimme zusammen.«
    »Aha...«
    Er schaute sich um. Dabei sprach er: »Das... das... ist nicht nur eine Stimme gewesen. Ich weiß es genau. Das waren mehrere Stimmen, die sich in meinem Kopf befanden. Eine deutlicher als die beiden anderen, aber ich irre mich nicht, denn ich kenne die Stimme ja, und jetzt hat sie sich verstärkt.«
    Ich blickte ihn skeptisch an. »Glauben Sie nicht, dass Sie sich da geirrt haben?«
    »Nein, bestimmt nicht. Ich weiß, was ich früher gehört habe.« Er deutete auf seine Ohren. »Und was jetzt passiert ist!«
    »Gut«, erklärte ich nickend. »Dann sagen Sie bitte, was wir jetzt unternehmen sollen.«
    »Ich muss hin, John. Lassen Sie uns gehen.«
    Das war ganz in meinem Sinne. Je schneller wir es hinter uns brachten, umso besser. Und ob Justus tatsächlich mehr als eine Stimme gehört hatte, daran zweifelte ich auch jetzt noch, als wir nebeneinander herschritten und auf den Eingang des Melaten-Friedhofs zugingen, manchmal begleitet von fallenden Blättern.
    Es war nicht eben eine ruhige und abgeschiedene Gegend, denn in unserem Rücken reckten sich die Fassaden hoher Wohnhäuser in den blauen Himmel.

Weitere Kostenlose Bücher