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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Sie raucht jetzt eine Zigarette nach der andern, zeigt eine Nervosität, die ich nicht an ihr kenne. Sie steigert sich bei ihrem Monolog in eine Art Trance hinein, obwohl sie genau weiß, daß sie es mir erzählt.
    »Und du wurdest kurz darauf wieder schwanger?«
    »Ja, ich hatte ein ungeheures Glück. Doch Aksel, das war ein Glück. Nur auf diese Weise konnte ich mein eigenes Schicksal bezwingen, konnte einen neuen Kurs einschlagen, ich meinte ja, ich hätte etwas unwiderruflich zerstört. Vielleicht wollte ich mich ganz bewußt testen und bin deshalb so schnell mit Bror ins Bett gegangen. In dem Alter ist man an der Grenze zum Wahnsinn, weil die Stimmungen so extrem wechseln, weil man entweder von einem unheimlichen Übermut gepackt wird oder vom Gegenteil, von destruktiver Lebensangst. Ja, die Lebensangst war groß. Und vergiß nicht, es gab noch keine Hippies, keine Rock-Musik. Als Jugendlicher war man noch nicht so frei, daß jeder mit jedem schlafen konnte, wie es in deiner Generation der Fall ist. Die Ehe war eine Bastion, und alles, was ich in diesen Jahren erfahren habe, war von tiefer Scham begleitet. Ich verlor das Kind 1951 und lernte 1952 Bror kennen. Im Jahr darauf kam Anja zur Welt. Als Paar hatten Bror und ich den schlechtesten Start, den eine Beziehung haben kann. Ich wurde bereits beim ersten Versuch schwanger. Aber für mich persönlich war es das Beste, was passieren konnte, denn das hat mich wieder aufgerichtet, ich bekam neuen Lebensmut und hörte auf, allein mit meinen dunklen Gedanken herumzuirren. Denn ich war einsam geworden, so wie Anja einsam war, ehe du sie mit deiner liebevollen und vollkommenen Hingabe herausgeholt hast. In meinem Leben war es Bror Skoog, der mich herausholte. Er kam wie der Prinz im Märchen, sieben Jahre älter, wie du weißt, ein fast fertig ausgebildeter Arzt, der sich auf einem Fest in derDovrehallen in mich verliebte. Er war bereits der zweite Mann in meinem Leben, auch wenn man den Nachbarsjungen, der mir die Unschuld nahm, kaum als Mann bezeichnen kann. Bror vergötterte mich. Ich verstand das nicht. Mein Selbstbild war ja zerstört. Ich verachtete mich. Meine Mutter und mein Vater hatten sich beide ernsthaft Sorgen um mich gemacht, aber zum Glück hatte ich keine größeren Probleme in der Schule, auch nicht während der Schwangerschaft. Und obwohl es eine Schande war, so jung schwanger zu werden, waren Bror und ich in der glücklichen Lage, daß unsere Eltern gleichermaßen relativ progressive, gebildete und verständnisvolle Menschen waren. Mutter ist, wie du vielleicht weißt, eine sehr bekannte Psychiaterin, und Vater hatte einen wichtigen Posten in der Oslo Arbeiderparti und saß im Vorstand der Gesundheitsbehörde. Brors Vater hatte eine leitende Stellung in der Industrie und enge Beziehungen zu wichtigen Ministern in der Regierung. Solange wir bereit waren, zu heiraten, war es nicht so schrecklich, daß sich ein noch nicht sichtbares Kind unter dem Brautkleid verbarg. Bror hielt am selben Abend, an dem ich ihm erzählte, daß ich schwanger bin, um meine Hand an. Er wußte nichts von den Stricknadeln und der Zeit, die ich durchgemacht hatte. Er glaubte, daß er der erste war, und ich hatte eine Todesangst gehabt, er könnte etwas merken. Aber wahrscheinlich verhielt ich mich so steif und unbeholfen, daß ich seine Erwartungen, wie eine Jungfrau sein müßte, vollends erfüllte.«
    Sie wird nachdenklich. Ich sehe, daß die Sonne im Westen rasch sinkt, daß wir uns auf den Heimweg machen müssen, bevor es dunkel wird. Aber andererseits möchte ich Marianne Skoog nicht in ihrer Geschichte unterbrechen. Wir werden es schon irgendwie schaffen. Ich habe eine Taschenlampe dabei.
    Sie wirft mir einen forschenden Blick zu. Höre ich zu? Bin ich interessiert an dem, was sie erzählt? Wein nachschenken. Ich bereue, nicht noch eine Flasche mitgenommen zu haben.
    »Als Bror wollte, daß ich abtreibe, traute ich meinen Ohren nicht. Er habe gute Verbindungen, sagte er. Keine Stricknadeln. Keine mystischen Prozeduren. Es gab ja einige Ärzte, die dazu bereit waren. Bror kannte einen. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen uns. Noch eine Abtreibung, da war ich mir sicher, würde fatale Folgen für mich haben. Andererseits war meine Vorstellung davon, was es heißt, Mutter zu werden, völlig nebulös. Und obwohl Bror nach außen zu mir hielt und eine großartige Hochzeit für uns ausrichtete, bestens unterstützt durch unser beider Eltern, wußte ich, daß er

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