Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
sie entrollte und eine Seite mit unentzifferbaren Hindi-Schriftzeichen zum Vorschein brachte.
»Herr Tickoo«, rief Siri. »Bhiku.«
»Aufwachen, Herr Tickoo!«, schrie Daeng so laut, dass ihre Stimme durch das ganze Viertel hallte. Sie standen vor den verschlossenen Türen des Happy Dine und sahen zu dem offenen Fenster im ersten Stock empor. Da es bis zu Geungs Schlafsaal in der Klinik und Dtuis Zimmer in der Polizeikaserne nicht allzu weit war, hatten sie beschlossen, einander heimwärts zu begleiten und es Siri und Daeng zu überlassen, den hoffentlich letzten Teil des Rätsels zu entschlüsseln, der ihnen mit etwas Glück den Weg zum Palast des Verrückten Prinzen Rajid weisen würde. Herr Tickoos Gesicht erschien im Fenster, und sein Lächeln erhellte den Gehsteig.
»Das ist ja noch vertrackter«, meinte Rajids Vater. Herr Tickoo saß mit Siri und Daeng im Restaurant. Die Neonröhre an der Decke summte und fiel zwischendurch immer wieder aus, wie in einer Amateur-Diskothek. Es war nervtötend, doch die Nachricht hielt sie in Bann. Sie sahen zu, wie der Inder hin und her grübelte und schließlich zur Feder griff. Sie nippten nervös an ihrem Tee und warteten ungeduldig auf das letzte Wort der letzten Zeile. Als es schließlich dastand und Bhiku zufrieden lächelnd den Kopf hob, wirbelten sie den Notizblock herum und warfen einen ersten Blick auf die laotische Übersetzung.
Eine Million Dickhäuter
Und ein vergeistigter Bär
Starren traurig in die Mitternachtssonne.
Siri machte ein Gesicht, als habe er in der staatlichen Lotterie gewonnen.
»Woher dieses selbstgefällige Grinsen?«, fragte Daeng.
»Ich hab’s«, antwortete er.
»Schon?«
»Ich hatte wohl etwas mehr Glück als Verstand, meine Liebe.«
»So macht das aber keinen Spaß. Wehe, du verrätst mir die Lösung. Ich will allein dahinterkommen. Dickhäuter … ein anderes Wort für …«
»Elefanten«, fiel Siri ihr ins Wort.
»Ich habe gesagt, du sollst es mir nicht verraten. Das weiß ich selbst. Eine Million Elefanten stehen eindeutig für Lane Xang. Den Namen des alten Königreiches Laos.«
»Und?«
»Diverse Geschäfte und Unternehmen.«
»Deren größtes welches ist?«
»Das Lane Xang Hotel?«
»Treffer.«
Herr Tickoo klatschte in die Hände. »Meine Rede«, sagte er. »Es ist, als würde man den Göttern bei der Erschaffung des Universums über die Schulter schauen. Genial.«
Daeng und Siri sahen sich an.
»Nur nicht übermütig werden«, sagte Siri.
Daeng fuhr fort. »Gleich hab ich’s, ich bin ganz nah dran. Ein Bär. Das Logo auf einer Flasche oder Dose? Nein? Ein Bärenfellteppich? Ein bestimmtes Sternbild? Vergeistigt … geistige Getränke … ein betrunkener Bär? Der Geist eines Bären? Ein toter Bär? Ein toter Bär im Lane Xang Hotel … die leeren Käfige?«
»Du bist die Größte.« Lächelnd drückte Siri ihre Hand. Die Lösung des Rätsels war ihm nur deshalb so leichtgefallen, weil sie mit einem seiner Fälle vom vorigen Jahr zusammenhing. Zum Ergötzen der Bevölkerung hatte das Lane Xang Hotel lebende Tiere in Käfigen gefangen gehalten. Bis zu ihrer Befreiung war eine Schwarzbärin die Hauptattraktion gewesen. Siri stellte sich vor, wie Rajid sich auf das Hotelgelände geschlichen und das arme alte Mädchen hinter den Gitterstäben betrachtet hatte. Irgendwo dort lag vermutlich der entscheidende Hinweis darauf, wo sich Rajids Palast befand.
»Wie spät ist es?«, fragte Siri.
»Wen interessiert das?«, erwiderte Daeng.
Anders als andere laotische Hotels verfügte das Lane Xang über weitläufige Außenanlagen. Hier gab es dichte tropische Vegetation, einheimische Blumen, die man ausgebuddelt und wider die Natur in Reih und Glied gezwungen hatte, und einen Swimmingpool, der inzwischen eher an einen Lotusteich erinnerte. Es schwammen so viele Blätter darin, dass ein dürrer Teenager ihn bequem trockenen Fußes hätte überqueren können.
Siri und Daeng waren Arm in Arm an der Rezeption vorbeigeschlendert, als ob das Hotel ihnen gehörte. Den Empfangschef fertigten sie mit einem Blick ab, der ihm unzweideutig zu verstehen gab, dass es wenig ratsam war, sie anzusprechen. Zielstrebig hielten sie auf die Tür zu, die in den Garten hinausführte. Für einen unbeteiligten Beobachter waren sie weiter nichts als ganz normale Gäste, die noch einen kleinen Spaziergang machen wollten, bevor sie sich in ihre Suite zurückzogen. Außer ihnen war niemand unterwegs. Im Schatten einer Mauer drängten sich vier
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