Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
Handschrift war makellos: nicht ein fragwürdiger Vokal oder fehlendes Betonungszeichen. Das Papier trug den Briefkopf des Wasserwirtschaftsamtes, samt falscher Telefon- und Postfachnummer. Er brauchte nur noch das Datum und den Namen der Adressatin einzusetzen.
Liebste – Wie schrieb die Kleine sich noch gleich? Ach ja – Wei,
ich bin wieder in Vientiane, im Herzen aber immer noch bei Dir und all den wunderbaren Menschen aus Deinem Dorf, die ich auf meiner Reise kennenlernen durfte. Ich kann mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich ständig an Dich denken muss. Du hast mein Leben auf den Kopf gestellt.
Heute habe ich großartige Neuigkeiten erhalten. Im Zuge meines Projekts komme ich am – er warf einen Blick auf den Kalender an der Wand – 26. März noch einmal in Eure Gegend, wenn auch nur für ein oder zwei Tage. Als ich davon erfuhr, war ich überglücklich, weil wir uns dann endlich wiedersehen. Ich hatte schon Angst, wir würden drei oder vier Monate getrennt sein. Leider ist es meine letzte Dienstreise in diesem Jahr. Es tut mir im Herzen weh, dass unsere Hochzeit in so weiter Ferne liegt.
Darum möchte ich Dir folgenden, hoffentlich nicht allzu vermessenen Vorschlag machen. Der Gedanke, so lange von Dir getrennt zu sein, macht mich ganz krank; aber es gibt eine Lösung. Mein Liebling, was hältst Du davon, wenn wir uns bei dieser Gelegenheit trauen lassen? Das ist vielleicht etwas kurzfristig, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, doch es wäre mir eine große Freude, wenn Du als meine Frau mit mir nach Vientiane zurückkehren würdest. Ich habe hier ein hübsches kleines Häuschen, und mit etwas Glück werde ich bald vielleicht sogar nach Osteuropa versetzt. Es wäre mir eine Ehre, Dich dort an meiner Seite zu haben.
Ich hätte vollstes Verständnis dafür, wenn Dir das alles etwas zu schnell geht, hoffe allerdings von ganzem Herzen, Du sagst Ja. Bitte verzeih, wenn dieser Brief ein wenig steif geraten ist. Ich habe noch nie einen Liebesbrief geschrieben, deshalb fällt es mir schwer, die richtigen Worte zu finden.
Du fehlst mir so sehr, dass ich heiße Tränen vergieße, während ich diese Zeilen schreibe. Ich bete, dass Du an mich denkst und wir schon bald für immer zusammen sein können.
Von Herzen,
Phan
Er schüttelte den Kopf und gab einen kleinen Seufzer von sich. Er schrieb Namen und Adresse seiner Verlobten auf den Umschlag und befeuchtete die Gummierung mit dem Schwamm, der stets auf seinem Schreibtisch stand. Morgen früh ging ein Überlandbus nach Natan. Er würde dem Fahrer ein paar Kip in die Hand drücken, damit er den Brief auf dem Weg durch ihre sogenannte Stadt bei ihr ablieferte.
Jeder Schachzug wollte sorgfältig geplant sein. Es konnte schließlich alles Mögliche schiefgehen. Die Letzte, das alberne, blasshäutige Mädchen mit den unförmigen Händen und den potthässlichen Füßen – weiße Baumwollsocken in der Hochzeitsnacht! Unfassbar. Er hatte die Ware einfach nicht gründlich genug geprüft. Aber schön war sie gewesen, daran gab es nichts zu rütteln. Jeder Mann im Bezirk hatte sie haben wollen. Und wer hatte sie bekommen? Der große Phan.
Darum war er so stolz auf seine Morde. Nun waren es schon fünf, in gut zwei Jahren, die Hure nicht mitgezählt. Die Hure zählte nicht. Sie gehörte zu seinem alten Leben, das mit dem neuen nichts zu schaffen hatte. Fünf waren eine ordentliche Ausbeute. Und diese Wei sah zwar nicht ganz so gut aus wie das letzte Mädchen, doch dafür war sie wohlerzogen und gebildet. Was zweifellos ein Fortschritt war, wenn auch noch nicht das Nonplusultra. Er perfektionierte seine Fähigkeiten, verbesserte sich mit jedem neuen Opfer. Die Naivität des in jeder Hinsicht schwächeren Geschlechts kannte keine Grenzen. Frauen fielen buchstäblich auf jeden Trick herein.
Da Madame Daeng den ganzen Tag am Herd stand und Dr. Siri seinen Verpflichtungen als Pathologe nachkommen musste, hatten die beiden nur selten Gelegenheit, sich als Abenteurer zu betätigen: entweder vor sechs Uhr morgens, wenn Daeng die Nudelbrühe aufsetzte, nach acht Uhr abends, wenn die letzten Gäste heimwärts zogen, oder sonntags. Sie waren erst nach elf aus dem Lane Xang Hotel zurückgekehrt, und trotz der Aufregung um die erbeutete Karte waren sie übereingekommen, die Suche nach dem Palast des Verrückten Rajid auf den folgenden Abend zu verschieben und sich ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Siri verbrachte den Vormittag damit, imaginäre Würmer von
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