Der Gladiator
hatten. Nach anfänglichem Leugnen gestand er ein, an dem Attentat gegen Pheroras beteiligt gewesen zu sein. Aber er sei nur ein kleines Licht, der Kopf des Unternehmens sei Terentius Ponticus gewesen.
Im Weinberg des Terentius fanden sie Marcellus. Er trug den Mörderlohn von tausend Sesterzen bei sich und versuchte auch gar nicht zu leugnen. Marcellus gestand, von Terentius, Pedanius und Eumolpus bestochen worden zu sein, Pheroras aufgelauert und ihm die Kehle mit einem Rasiermesser durchschnitten zu haben.
Der Prozeß war eine reine Formsache. Terentius, Pedanius und Eumolpus wurden als römische Bürger zum Tod durch das Schwert verurteilt, der Sklave Marcellus zum Tod am Kreuz. Dies alles war nichts Ungewöhnliches, da tagtäglich auf dem Marsfeld Hinrichtungen stattfanden. Für die Römer waren sie ein beliebter Zeitvertreib. Dieser Prozeß erregte jedoch ungewöhnliches Aufsehen, weil nach den geltenden Gesetzen alle Sklaven, die mit dem Mörder unter einem Dache wohnten, zum Tode verurteilt werden mußten. In diesem Fall waren es vierhundert.
Im Hause des Pheroras kam es daraufhin zu einer Panik. Soldaten umstellten das Gebäude und verhinderten, daß einzelne Sklaven flohen. Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß einige Sklaven sich in das Schwert stürzten. Andere tobten wie von Sinnen durch das Haus, wälzten sich schreiend auf dem Boden und riefen: »Ich bin unschuldig! Ich bin unschuldig!« In einer Ecke kauerte engumschlungen ein Sklavenpaar, Tränen rannen über ihre Gesichter, und die Frau wimmerte: »Was haben wir nur verbrochen!« Andere schrieben Abschiedsbriefe oder starrten ausdruckslos vor sich hin, bis man sie aneinandergekettet abführte.
Rom war in Aufruhr. Die einen gierten nach dem Schauspiel, vierhundert Sklaven und Sklavinnen auf einmal am Kreuz sterben zu sehen, die anderen empörten sich über die Hinrichtung Unschuldiger. War es noch Recht, daß vierhundert Menschen sterben mußten, nur weil einer von ihnen seinen Herrn ermordet hatte?
Die Sache kam schließlich vor den Senat, und auch hier gab es zwei Parteien. Im vorliegenden Fall, sagten die einen, erweise sich das julische Gesetz als zu streng, die Kontrahenten mit ihrem Sprecher Gaius Cassius argumentierten dagegen, das Sklavengesindel könne nur durch Furcht in Schranken gehalten werden. »Auch in einem geschlagenen Heer«, sagte Cassius, »trifft selbst Tapfere das Los, wenn jeder zehnte Mann zu Tode gepeitscht wird.« So schließe jedes große Strafverfahren eine gewisse Ungerechtigkeit ein; der Schaden aber, den der einzelne erleidet, werde durch den Nutzen für die Gesamtheit aufgewogen.
Beifalls- und Protestrufe hielten sich in der Kurie die Waage. Deshalb wurde mit Spannung die Abstimmung erwartet. Das Ergebnis war knapp. Eine geringe Mehrheit der Senatoren stimmte für die strenge Auslegung des Gesetzes und damit für die Hinrichtung der vierhundert Sklaven.
Früh am Morgen, als die Sonne milchigweiß hinter dem Palatin aufging, war der Kerker von Tausenden lärmenden Römern umlagert. Eine Kohorte versuchte mit gezogenem Schwert sich Zutritt zu verschaffen. »Hände weg von den Unschuldigen!« schallte es im vielstimmigen Chor. Als sich die schweren Eisentore des Kerkers öffneten und die Soldaten sich eine Gasse durch die Menge bahnen wollten, flogen Steine. Blindwütend schlugen die Soldaten mit ihren Schwertern in die Zuschauer. Doch diese antworteten mit einem Steinhagel. Brandfackeln wurden in den Innenhof geschleudert. Tausende schrien erregt: »Hände weg von den Unschuldigen!« Daraufhin zogen sich die Soldaten zurück, die schweren Gefängnistore fielen ins Schloß. Der Fall Pheroras war zum Politikum geworden, einer Kraftprobe zwischen den Sklaven, den Rechtlosen, den Habenichtsen und dem Gesetz, sprich dem Kaiser.
Kaiser Nero, der sich in den sechs Jahren seiner Regierung bisher an Politik ziemlich uninteressiert gezeigt hatte, erkannte den Ernst der Lage. Es galt, sich Autorität zu verschaffen und einem Aufstand der Massen zuvorzukommen. Noch in der Nacht riegelten vier Kohorten Soldaten, unterstützt von den Prätorianern des Kaisers, die Via Flaminia vom Kapitol bis zum Marsfeld hermetisch ab. Die Sklaven und Römer, die im ersten Morgengrauen dem Kerker zuströmten, sahen sich einer Übermacht schwerbewaffneter Soldaten gegenüber. Dann schleppten sich die vierhundert zum Tode Verurteilten aneinandergekettet durch ein schweigendes Spalier betroffener Menschen hinaus zum Marsfeld, wo ein Wald von
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