Der Heilige Krieg
Merowinger absetzte und sich selbst die Herrscherwürde aneignete, ließ er sich sein Vorgehen von Papst Zacharias persönlich schriftlich genehmigen.
Am deutlichsten tritt die Verknüpfung von politischem Machtanspruch und christlicher Mission bei Karl dem Großen hervor, dem Enkel Karl Martells. Der Artikel 8 der Kapitulationsurkunde, die er den besiegten Sachsen im Jahr 800 aufzwang, sah für Taufverweigerer die Todesstrafe vor: »Sterben soll, wer Heide bleiben will und unter den Sachsen sich verbirgt, um nicht getauft zu werden.«
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Pippin der Jüngere (714 – 768) und der Klerus. Französische Miniatur aus dem 15. Jahrhundert.
Wer hätte den weiteren Vormarsch der Muslime noch aufhalten sollen, wenn die Verteidigung von Tours gescheitert wäre? Mit den Koalitionskräften unter der Führung des fränkischen Hausmeiers stand den Muslimen das letzte Aufgebot der christlichen Völker Europas gegenüber.
Gespaltene Lager
Die Nachwelt hat die Allianz von Franken, Langobarden und Aquitaniern zur vereinten, christlichen Front gegen die Muslime aus Andalusien stilisiert. Aber auch die spirituelle Gegenwart Christi in Gestalt des heiligen Schwammes kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei nur um eine Zweckgemeinschaft auf Zeit handelte.
Die Interessenkonflikte, die etwa zwischen Fürst Odo von Aquitanien und Karl Martell schwelten, hatten im Vorfeld der Schlacht von 732 zu massiven Spannungen geführt. Wäre nicht Abd ar-Rahman mit seinem Vorstoß nach Tours dazwischengekommen, so hätte es wahrscheinlich einen Feldzug des fränkischen Hausmeiers gegen das christliche Aquitanien gegeben. In den Jahren zuvor hatte Karl Martell jedenfalls keinen Augenblick gezögert, wenn es darum ging, seine Herrschaftsansprüche auch gegenüber christianisierten Landstrichen und ihren Herrschern durchzusetzen. Erst 730 hatte er Kriege gegen die christlichen Völker der Alemannen und der Bayern geführt.
Es ist eine der offenen Fragen im Umfeld der Schlacht von Tours und Poitiers, wie Karl Martell mit einer derart großen Streitmacht rechtzeitig zur Stelle sein konnte. Dabei ist der Umstand zu berücksichtigen, dass das fränkische Heer zum größten Teil aus Fußsoldaten bestand. Schweres
Gerät und Versorgungswagen wurden von Ochsen gezogen. Tagesetappen von 30 bis 40 Kilometern begrenzten den Aktionsradius der fränkischen Truppen. Höchstens ein Zehntel der Streitmacht war beritten.
Die Rolle der Hausmeier im Europa nach der Völkerwanderung
Der Einfall der Hunnen im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts nach Osteuropa steht am Beginn einer Epoche, die für zwei Jahrhunderte die europäische Geschichte prägen sollte. In diese »Zeit der Völkerwanderungen« fällt der Zusammenbruch des Weströmischen Kaiserreichs ebenso wie die allmähliche Ausbreitung des Christentums in Europa. Am Ende der Umbruchphase waren die wandernden germanischen Stämme wieder sesshaft geworden: die Angeln und Sachsen in Südengland, die Vandalen in Nordafrika und Süditalien, die Langobarden in Norditalien und die Westgoten in Spanien und Südfrankreich.
In Zentraleuropa hatte sich der fränkische Stamm der Merowinger, deren Kernland Austrasien sich zwischen Maas und Rhein erstreckte, zur stärksten Kraft herausgebildet. Von einem Gründungsmythos, der ihre Abstammung aus einer Verbindung zwischen einer Meeresgottheit und ihrer Stammmutter, der Frau Chlodios I., beschreibt, leiteten die Merowinger ihren königlichen Herrschaftsanspruch ab. Das Regieren überließen sie ihrem »maior domus«, dem »Verwalter des Hauses«. Diese »Hausmeier« wurden mit der Zeit so einflussreich, dass sie Mitte des 8. Jahrhunderts unter Pippin, dem Sohn Karl Martells, als fränkische Karolinger die Macht der Merowinger übernahmen.
Es ist also durchaus anzunehmen, dass Karl Martell sich für den Spätsommer 732 eigentlich etwas ganz anderes vorgenommen hatte: nämlich eine Strafexpedition gegen den aquitanischen Fürsten, der seine Unabhängigkeit vom Frankenreich bewahren wollte.
731, im Jahr vor der Schlacht, war der fränkische Hausmeier im Verbund mit den Langobarden aufgebrochen, um gegen die Sarazenen in Südfrankreich ins Feld zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein Waffenbündnis zwischen Munnuza, dem maurischen Statthalter von Nar-bonne,
und Odo von Aquitanien. Munnuza sollte Odo gegen die Herrschaftsansprüche von Karl Martell unterstützen. Und Odo versprach Munnuza Waffenhilfe gegen den muslimischen Gouverneur von
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