Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
gewendete Stasi in die Mangel nimmt.«
»Erwarten Sie das, weil Sie diese Leute auf ihn gehetzt haben?«
Berndorf antwortet lieber nichts.
»Und was versprechen Sie sich davon?«
Berndorf schweigt weiter. Wenn Meuniers Leute wirklich bei Neuböckh auftauchen, gibt es zwei Möglichkeiten.
Entweder sie werden fündig, bekommen ihr Geld und ziehen ab. Steinbronner beerdigt den Fall, hängt den Hollerbach-Mord dem inzwischen eingefangenen Paco an und bleibt wieder in Stuttgart. Dann ist Ruhe im Karton.
Ruhe ist nie zu verachten.
Oder die Stasi wird nicht fündig. Dann hat Neuböckh ein Problem…
»Sie wollen diesen Leuten also eine Falle stellen«, fasst Tamar die Antworten zusammen, die er nicht gegeben hat. »Glauben Sie nicht, dass die damit rechnen? Einmal haben Sie diese Leute abserviert. Dafür haben Sie jetzt kein Auto mehr. Und um ein Haar hätte auch Felix dran glauben müssen.«
Links der Straße dringt kaltes Licht durch den Nebel. Schemenhaft werden hohe Mauern und Silotürme sichtbar und Gestänge, das sie verbindet.
»Ich kann nicht darauf warten, was diesen Leuten noch alles einfällt«, sagt Berndorf schließlich. »Es ist wie in einer Partie Schach. Wenn Sie nicht verlieren wollen, müssen Sie die Initiative zurückgewinnen.«
»Das Leben ist keine Schachpartie«, fällt ihm Tamar ins Wort. »Wissen Sie, dass ich mich immer öfter frage, wann Sie eigentlich erwachsen werden wollen?«
»Wenn ich aus dieser Geschichte heil herauskomme, will ich’s versuchen. Aber vermutlich bin ich schon zu alt dafür. Barbara meint das.«
Die Straße beginnt zu steigen. Der SWR schaltet um in das Nachrichtenstudio, in diesem Winter werden in Deutschland vier Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sein, in Afghanistan setzt die Nordallianz ihren Vormarsch fort, die Bundesregierung weist Vorwürfe zurück, Kriegsgerät aus den Beständen der ehemaligen NVA in den Kongo geliefert zu haben, draußen scheint der Nebel noch dichter zu werden, er schluckt das Licht der Scheinwerfer nicht mehr, sondern wirft es zurück, die zwanzig Millionen Miese des Stuttgarter Fußballclubs sind wohl doch eher in Euro als in Mark gerechnet …
»Was passiert eigentlich mit jemand, der so etwas versaubeutelt hat?«, fragt Tamar.
»Der wird Präsident des Deutschen Fußballbundes…«
Dann wird es heller, der Nebel reißt auf, vor ihnen liegt sternenklar die Hochfläche der Alb. Der Nachrichtensprecher leitet über zum Wintersport. Berndorf dreht den Ton ab.
Die Straße senkt sich wieder und taucht ein in die Nebelbank, die das Lautertal ausfüllt wie eine voll gelaufene Wanne. Dann kommt – an einer Stelle, an der Tamar es nicht erwartet
– die Kehre, und sie ist noch enger, als sie es erinnert.
»Wir sollten den Wagen vielleicht noch vor dem Ortsschild abstellen«, sagt Berndorf.
»Nichts dagegen«, meint Tamar, »wenn Sie mir nur sagen könnten, wann wir vor dem Ortsschild sind.«
Sie durchfahren eine zweite Kehre, eine dritte, vor ihnen weitet sich der Randstreifen, das muss die Parkbucht sein, denkt Tamar und steuert den Renault von der Fahrbahn, aber dann rutscht der Wagen rechts weg, dumm und weiß angestrichen steht ein Begrenzungspfosten vor ihnen und kippt mit bösartiger Langsamkeit nach hinten. Der Renault setzt mit der Bodenplatte auf der Böschung auf und bleibt hängen.
»Na prächtig«, sagt Tamar und stellt den Motor ab.
Berndorf öffnet vorsichtig die Beifahrertür. Unter ihm ist kein Abgrund, sondern nur der Straßengraben. Behutsam lässt er sich mit beiden Beinen aus dem Wagen gleiten, bis seine Füße auf der abschüssigen Böschung Halt finden.
Tamar beugt sich zum Handschuhfach und nimmt ihre Pistole heraus. Dann schaltet sie die Parkleuchte ein und steigt aus. Um sie herum ist graue, nasse, wattige Dunkelheit. Sie geht den Renault entlang. Der Wagen steht – oder hängt – knapp außerhalb der Fahrbahn. Vielleicht kommt der nächste Molkereiwagen doch noch an ihm vorbei, ohne ihn vollends in den Straßengraben zu rammen.
Sie steckt die Pistole in ihren Hosenbund. Allmählich gewöhnen sich ihre Augen an das graue Wattemeer um sie herum. Undeutlich erkennt sie die schwärzlichen Konturen von Dächern unterhalb der Straße.
Zwei Glockenschläge hallen gedämpft zu ihr her.
»Halb zehn«, sagt Berndorf, der neben sie getreten ist. »Gehen wir?«
Die beiden Männer bleiben vor dem Münsterportal stehen. Nebelfetzen treiben an den runden Wänden und Einschnitten des Stadthauses
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