Der Junge aus dem Meer
und reichte ihm den Hörer.
„Bitte verbinden Sie mich mit Kommissar Michelsen“, sagte der junge Polizist, als die Verbindung hergestellt war. Kurz darauf richtete er sich unwillkürlich ein wenig auf. „Hier spricht Wachtmeister Küselwind aus Rantum. Ich habe eine Meldung zu machen.“
„Dann schießen Sie mal los“, erwiderte eine Stimme aus dem Telefonhörer, und anschließend erzählte Herr Küselwind die Geschichte, die er gerade gehört hatte. „Wie soll ich mich verhalten, Herr Kommissar?“ fragte er zum Schluß.
„Ist bei Ihnen in Rantum auf einmal die Schlafkrankheit ausgebrochen?“ fragte die Telefonstimme. „Der Vorfall ist schon vierundzwanzig Stunden alt, und Sie rufen erst jetzt an?“
„Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie hier sind“, sagte der rothaarige Wachtmeister ein wenig kleinlaut.
„Ich rate Ihnen, daß Sie sich eine gute Entschuldigung einfallen lassen“, grollte es durch den Draht aus Westerland herüber. „Ich bin pünktlich um zwei Uhr draußen. Observieren Sie den Burschen bis dahin, und hinterlassen Sie im Haus Seestern, wo ich Sie finde. Ende.“
„Das war Kriminalkommissar Michelsen“, erklärte Herr Küselwind ein wenig bekümmert, als er aufgelegt hatte. „Er will um zwei hier sein, und ich soll diesen Jungen bis dahin nicht aus den Augen lassen.“
„Das war nicht zu überhören“, lächelte der Professor. „Seine Stimme war ja laut genug, und sie hat so geklungen, als ob mit diesem Herrn nicht allzu gut Kirschenessen wäre.“
„Sie werden ihn ja kennenlernen“, meinte der junge Wachtmeister ausweichend. „Und jetzt spaziere ich flugs in die Dünen, um diesen seltsamen Knaben zu beschatten.“
„Das könnte Ihnen so passen“, protestierte Professor Stoll. „Sie tauchen in voller Uniform vor dem Jungen auf, und schon brennt eine neue Sicherung bei ihm durch. Das lasse ich ganz einfach nicht zu.“
„Befehl ist Befehl“, gab Herr Küselwind zu bedenken, aber dann überlegte er und fragte schließlich: „Haben die Herren hier zufällig eine Turnhose übrig oder etwas Ähnliches?“
„Bitte bedienen Sie sich“, sagte Herr Kubatz und machte die Tür zu seinem Badezimmer auf.
„Ja, das ist eine diplomatische Lösung“, stellte Professor Stoll sachlich fest. Dabei blickte er auf seine Armbanduhr und blätterte dann in seinem Terminkalender. „Da wäre ein Heuschnupfen, ein Verdacht auf Blinddarm, und in Thörhorn habe ich noch ein Gipsbein und eine Gallenblase. Ja, bis der Kommissar eintrudelt, kann ich wieder zurück sein.“ Er nahm seinen Strohhut vom Tisch. „Ich bitte mir aus, daß er mit dem Jungen nur redet, wenn ich dabei bin. Das ist eine ärztliche Anordnung, wohlverstanden.“ Damit riß er die Tür auf und eilte davon.
„Verstanden“, rief Wachtmeister Küselwind hinter ihm her. Er hatte sich inzwischen mit Hilfe einer zitronengelben
Badehose von Herrn Kubatz in einen unauffälligen Feriengast verwandelt, und als er sich jetzt auch noch seinen Dienstfeldstecher vor die nackte Brust hängte, war die Verkleidung perfekt.
„Sie können nicht weit sein“, bemerkte der Chefredakteur. „Ein schwarzhaariger Junge in einem blau-rot karierten Hemd, zusammen mit sieben anderen im gleichen Alter, müßte leicht zu finden sein.“
„Kein Problem“, erwiderte Herr Küselwind und zwinkerte mit seinen lustigen Augen. „Ich fresse einen Besen, wenn mich jetzt noch jemand für einen Polizisten hält. Bis später.“ Er machte die Tür hinter sich zu und wanderte los. Aber schon nach etwa dreißig Schritten zuckte er zusammen.
„Hallo, Herr Wachtmeister“, rief da nämlich eine Stimme. „Viel Vergnügen beim Baden.“ Aber das war nur Florian mit dem Sommersprossengesicht, der gerade die Pferde Peter und Paul zum Stall brachte. Der kannte Herrn Küselwind natürlich auch ohne Uniform.
„Leider nur dienstlich“, bemerkte der Wachtmeister und spazierte weiter.
Mittlerweile hatte sich Herr Kubatz in seiner Blockhütte wieder einmal eine Pfeife angesteckt, und da die Flasche mit dem Korn auf dem Tisch stehengeblieben war, wollte er sich davon noch einmal in aller Seelenruhe einen Schluck genehmigen, als er wie aus heiterem Himmel plötzlich zu sich selbst sagte: „Ich bin ein so dummes Kamel, dümmer geht’s gar nicht.“ Er stand zufällig dicht vor einem Spiegel, drehte sich um und blickte sich mitten in sein eigenes Gesicht. „Du Rhinozeros, über allem hast du glatt vergessen, daß du eine Zeitung am Bein hast. Das geht auf
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