Der Junge aus dem Meer
keine Kuhhaut!“ Er drehte sich wieder herum und stapfte, jetzt richtig wütend auf sich selbst, durchs Zimmer. Dabei paffte er eine Rauchwolke um die andere in die Luft. Schließlich stellte er sich in die offene Tür und blinzelte in die Sonne. „Aber noch ist es nicht zu spät“, setzte er sein Selbstgespräch fort. „Allerdings, kurz vor zwölf ist es schon!“ Jetzt schwang er sich in eine Hängematte, die neben der Blockhütte zwischen zwei Bäumen hing, und fing an, hin und her zu schaukeln. Dabei kamen ihm immer die besten Ideen. Auch dieses Mal brauchte er nur drei Minuten zu warten. Er warf seine Beine in die Luft, sprang auf den Boden und pfiff auf zwei Fingern. Sofort darauf brüllte er: „Florian!“ Gleichzeitig flitzte er in sein Blockhaus zurück, nahm den Telefonhörer ab und fing an zu wählen.
„Paß auf, mein Freund“, sagte Herr Kubatz, als Florian sein Sommersprossengesicht durch die Tür steckte. „Du wirst im Affentempo die Glorreichen Sieben finden. Dann nimmst du dir meinen Herrn Sohn auf die Seite. Er hat bestimmt seinen Apparat bei sich, und damit soll er sofort ein paar Fotos von Alexander schießen. Schön scharf und nur den Kopf, wie für einen Personalausweis. Dabei müßt ihr aufpassen, daß dieser Wachtmeister Küselwind davon nichts bemerkt, was gar nicht so einfach sein dürfte, weil er irgendwo mit seinem Feldstecher auf der Lauer liegt und die Jungen beobachtet. Aber es wird ihnen schon was einfallen. Jedenfalls brauche ich den Film im Eilgalopp. Ich flehe dich an, nimm deine Füße unter die Arme und sause los. Es soll mir auf zehn Pfennig Trinkgeld nicht ankommen.“
„Werfen Sie nicht so mit dem großen Geld durch die Gegend“, warnte Florian noch, dann zischte er ab.
„Bad Rittershuder Nachrichten“, meldete sich inzwischen schon zum drittenmal eine Stimme im Telefonhörer. „Ist dort jemand?“
„Nur der Chef“, antwortete jetzt der Chefredakteur. „Guten Tag, Fräulein Schröder, bitte geben Sie mir meinen Stellvertreter.“
Redakteur Hildesheimer wollte eigentlich davon berichten, daß sich in Bad Rittershude jetzt beinahe schon die Fernsehantennen vor Hitze bogen, aber dazu kam er gar nicht.
„Es brennt, lieber Hildesheimer“, unterbrach der Chef seinen Stellvertreter. „Und zwar aus allen Knopflöchern. Haben Sie was zum Schreiben bereit?“
„Kann schon losgehen“, erwiderte Herr Hildesheimer. Er war im Handumdrehen der zuverlässige und fixe Redakteur.
„Zuerst folgende Schlagzeile für die nächste Nummer“, kündigte Herr Kubatz an: „Junge ohne Gedächtnis vom Meer an den Strand geworfen.“
„Hört sich wie eine Sensation an“, wagte Redakteur Hildesheimer zu bemerken.
„Ist auch eine“, stellte Herr Kubatz fest und diktierte anschließend, was sich zugetragen hatte. „Er kann sich an nichts erinnern, er weiß nicht einmal seinen Namen. Wir berichten weiter.“
„Das ist wirklich ein heißes Ding“, stellte der Redakteur in Bad Rittershude begeistert fest.
„Und jetzt, Hildesheimer, passen Sie genau auf“, meinte Chefredakteur Kubatz. „Damit die Geschichte möglichst lange allein und exklusiv in unserer Hand bleibt, habe ich mit keinem Wort den Namen Sylt erwähnt. Wir sprechen nur von irgendeiner Insel und lassen sogar offen, ob sie in der Nordsee oder in der Ostsee liegt. Man wird Sie in Rittershude mit Telefonaten nur so zudecken. Vor allem werden Ihnen andere Zeitungen und Kollegen aus allen Ecken Deutschlands auf den Pelz rücken. Mit den unmöglichsten Maschen und mit jedem erdenklichen Trick. Bestimmt wollen sie auch erfahren, wo ich gerade Urlaub mache, weil sie sich dann den Rest zusammenreimen könnten. Rufen Sie die ganze Redaktion zusammen, alle Sekretärinnen und überhaupt den ganzen Betrieb. Ihr müßt dichthalten wie Gummiringe am Einmachglas. Euer Name ist Hase, und ihr wißt von nichts. Selbst wenn sich die Polizei an die Strippe hängt. Redaktionsgeheimnis und damit basta!“
„Sie können ruhig schlafen, Chef“, versicherte Redakteur Hildesheimer aus Bad Rittershude.
„Einen Teufel werde ich tun“, lachte Herr Kubatz. „Ich bin grade dabei, mir ein Bein auszureißen, damit Sie von dem Jungen auch noch ein Foto für die erste Seite kriegen. Halten Sie für alle Fälle den Platz frei.“
„Sie sind ganz einsame Spitze, Chef“, meinte Redakteur Hildesheimer mit ehrlicher Bewunderung.
„Dann ist ja alles in Ordnung“, stellte Herr Kubatz fest.
„Ich melde mich wieder. Haltet mir die Ohren
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