Der Junge aus dem Meer
steif!“ Nach diesem Gespräch wählte er den Inselflugplatz.
Auf den Parkplätzen und an den Straßen zu den Dünen parkte inzwischen ein Auto neben dem anderen. Die Sonne hatte die Urlauber ins Freie gelockt. Am Strand wimmelte es nur so von Menschen. Sie lagen im Sand, hüpften im Meer herum oder reparierten ihre Strandburgen, die von der Sturmflut zum Teil völlig zerstört worden waren. Kassettenrecorder spielten, und Kinder brüllten.
„Vielen Dank für Obst und Südfrüchte“, hatten sich die Glorreichen Sieben beim Anblick dieser Völkerwanderung gesagt und sich mitten in den Dünen eine stille Sandkuhle ausgesucht, in der sie ganz allein waren. Sie schmorten, eingefettet wie Ölsardinen, in der Sonne, weil sie am Ende der Ferien natürlich braungebrannt wie Neger nach Bad Rittershude zurückkehren wollten. Nur Alexander saß im Schatten und hatte auch sein blau-rot kariertes Hemd nicht ausgezogen.
„Du mußt doch zum Beispiel in einer Schule gewesen sein, Alexander“, fragte Emil Langhans gerade.
„Aber ich kann mich nicht daran erinnern“, antwortete der Junge mit den pechschwarzen Haaren. „Dabei weiß ich genau, was eine Schule ist.“
„Nicht zu fassen“, bemerkte Hans Pigge und drehte sich auf den Bauch. „Also ich kann mir nicht vorstellen, daß ich je vergesse, wie Studienrat Purzer aussieht.“
„Wenn du am Kopf irgendeine Verletzung hättest“, meinte jetzt Paul Nachtigall und kraulte dabei den Rauhhaardackel vom Haus Seestern hinter den Ohren. „Ich meine, wenn so etwas durch einen Schlag oder einen Sturz passiert, könnte mir das noch einleuchten. Aber so...“
„Es ist wie ein schwarzer Vorhang“, erwiderte Alexander. Er saß jetzt wieder einmal da wie abwesend und zeichnete dabei mit dem Zeigefinger Kreise in den Sand. „Oder es ist einfach leer, ganz leer. Nichts ist da. Überhaupt nichts.“
In diesem Augenblick kam eine leise Stimme hinter dem Dünengras hervor. „Dreht euch nicht um nach mir, und bleibt vorerst so, wie ihr seid. Ihr werdet aus der Ferne beobachtet.“
„Hier kann es sich doch nur um Herrn Florian Jansen handeln, wenn mich nicht alles täuscht“, meinte Paul Nachtigall. Er richtete sich auf und streckte die Arme. Dabei sah er jetzt tatsächlich hinter den Grasbüscheln das Sommersprossengesicht.
„Droben auf der Düne in der Richtung, wo jetzt Sputnik liegt“, flüsterte Florian weiter. „Aber dreht euch jetzt nicht alle um wie die Idioten.“
„Lassen Sie solche Unverschämtheiten, Herr Jansen“, gähnte Fritz Treutlein.
„Also dort steht ein Badegast mit einer zitronengelben Badehose und guckt immer wieder einmal durch seinen Feldstecher. Das ist aber gar kein Badegast. Das ist Wachtmeister Küselwind, der euch beschatten soll „
„Die Kalenders sind überall“, bemerkte Manuel Kohl, womit er auf den Polizeimeister Kalender in Bad Rittershude anspielte.
„Halt gefälligst deine Schnauze“, zischte Florian. „Ich komme im Auftrag von Herrn Kubatz, und es kommt auf jede Sekunde an.“ Anschließend berichtete er, was der Chefredakteur haben wollte.
„Bist du damit einverstanden?“ fragte Karlchen Kubatz den Jungen in dem blau-rot karierten Hemd.
„Ihr wollt mir alle helfen“, erwiderte Alexander. „Und wenn dein Vater ein Bild von mir braucht, hat er bestimmt etwas vor, was gut für mich ist.“
„Aber dieser Polizist darf von der ganzen Fotografiererei nichts bemerken“, flüsterte Florian hinter seinen Grasbüscheln hervor. „Es würde euch schon etwas einfallen, hat Herr Kubatz vermutet. Ich meinerseits bin da allerdings nicht so ganz sicher.“
„So einer Kröte antwortet man nur mit schweigender Verachtung“, stellte Otto Hugendubel fest, und dann stützte er sich auf seinen Ellenbogen. „Ich gebe zu, die Sache ist wirklich verdammt kompliziert.“
„Aber wir wollen Herrn Kubatz trotzdem nicht enttäuschen“, bemerkte Paul Nachtigall. „Ihr werdet es nicht für möglich halten, aber ich habe eine Idee. Laßt uns ein Lied singen, Freunde.“
„Bist du übergeschnappt?“ fragte Emil Langhans.
„Ein fröhliches Lied, sagte ich“, wiederholte Paul Nachtigall und sprang auf. „Kommt alle her zu mir, und fangt endlich an zu begreifen, ihr Hornochsen.“
Kurz darauf stand der größte Teil der Glorreichen Sieben dicht nebeneinander in Reih und Glied wie eine Fußballmannschaft vor ihrem Tor bei einem Strafstoß. Und zwar so, daß sie zwischen Herrn Küselwind in seiner zitronengelben Badehose und den
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