Der Junge aus dem Meer
zuviel zu?“ erwiderte Florian. Er ließ die Trense wieder los und erwartete ein wenig besorgt, was jetzt wohl passieren würde.
Aber Herr Albert Landauer schaffte es wirklich allein. Schon zwei Minuten später wurde er sogar übermütig, gab seinem Pferd einen Klaps auf den Hals und meinte: „So, mein lieber Paul, jetzt wollen wir mal einen Zahn zulegen.“ Die beiden Trakehner spitzten für einen kurzen Moment die Ohren, und gleich darauf fielen sie in Trab. Manchmal verlor der Mann, den sein Publikum nur unter dem Namen Psycho kannte, einen Bügel, und manchmal hing er auch ziemlich schief im Sattel. Aber er ritt ja für keine Schönheitskonkurrenz.
Im Haus Seestern waren inzwischen alle Vorbereitungen für den zweiten Teil des Plans getroffen worden.
Karlchen Kubatz hatte im hinteren Teil des Raumes bei der Küche Stellung bezogen. Er blickte durch den schmalen Schlitz des Fensterladens und ließ die Dünenkämme nicht aus dem Auge. Dicht hinter ihm warteten Professor Schreiber und der schwarzhaarige Alexander auf ihr Startzeichen.
Die übrigen Glorreichen Sieben hatten sich an der Tür zum Hof versammelt.
„Ich wäre dann also sozusagen die zweite Welle?“ wiederholte Professor Stoll seine Instruktionen. „Ist das richtig?“
„Ja, und Sie tauchen auf, sobald die Kerle da draußen an uns ihr Interesse verlieren“, flüsterte Paul Nachtigall, „und wenn sie deshalb nicht mehr genug abgelenkt sind.“
„Und falls sie auch von Professor Stoll nichts mehr wissen wollen“, ergänzte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten, „dann komme ich als Welle Nummer drei.“
„Genauso ist es“, flüsterte Paul Nachtigall wieder.
Draußen hatten sich inzwischen auch neugierige Dorfbewohner unter die wartenden Journalisten gemischt, und der geschäftstüchtige Herr Christensen, der dicht bei der Post einen Kolonialwarenladen betrieb, hatte blitzschnell geschaltet, seinen alten Lieferwagen vollgepackt und verkaufte bereits Getränke oder Eis am Stiel. Seine Frau wurde inzwischen ihre alten Bestände an Räucheraal und Krabben los. Die Presseleute aus der Stadt standen schon richtig Schlange. Allerdings blieben auch einige auf ihren Plätzen, saßen im Gras oder standen neben ihren Kameras, um das Haus Seestern im Blick zu behalten.
Als draußen der Kolonialwaren-Christensen gerade bedauern mußte, daß sein Vorrat an Limonade und Flaschenbier im Augenblick erschöpft sei, flüsterte Karlchen Kubatz von der Küche her aufgeregt: „Achtung!“ Er hatte eine Gestalt entdeckt, die von der Seeseite zu den Dünen hinaufkletterte.
„Bist du sicher?“ fragte Paul Nachtigall.
„Moment, ich kann ihn noch nicht genau genug sehen“, antwortete Karlchen. Aber im gleichen Augenblick hatte die Gestalt den höchsten Punkt der Düne erreicht, zog ein hellblaues Hemd aus und hielt es wie eine Fahne in die Luft.
„Florian gibt das Zeichen“, japste Karlchen Kubatz. „Sie sind also am Treffpunkt angekommen.“ Er drehte sich um und fragte zappelig: „Worauf wartet ihr eigentlich noch?“
„Jetzt nicht die Nerven verlieren“, flüsterte Paul Nachtigall, und dann stellte er fest: „Die erste Welle bricht aus!“ Er holte tief Luft, öffnete die Tür und trat zusammen mit den anderen Jungen in den Hof hinaus. Sie blinzelten in die Sonne, streckten die Arme aus, unterhielten sich und schlenderten dabei nebeneinander in Richtung Blockhütte. Den versammelten Presseleuten schenkten sie überhaupt keine Beachtung. Die Herrschaften mit ihren Mikrofonen und Kameras waren nichts als Luft für sie.
Ganz umgekehrt kam in das Heerlager der Journalisten sofort Bewegung, nachdem sich die Tür zum Haus Seestern wieder einmal geöffnet hatte.
„Hallo, Jungens“, rief einer der Presseleute. „Kommt doch mal her!“
„Wir sind Badegäste und haben nur ein paar lumpige Tage Ferien im Jahr“, erwiderte Emil Langhans mit seiner Gießkannenstimme. „Und da wollen wir unsere wohlverdiente Ruhe haben. Entschuldigen Sie bitte.“ Er lächelte höflich und rückte seine Hornbrille auf der Nase zurecht.
„Übrigens, finden Sie nicht auch, daß Schüler viel zuwenig Urlaub haben?“ fragte Manuel Kohl so nebenbei. „Der Bundestag sollte sich endlich mit dieser Katastrophe befassen „
Zuerst einmal waren die Presseleute ganz einfach sprachlos und verdutzt. Aber dann schmunzelten sie oder lachten.
„Ein paar Minuten werdet ihr doch Zeit haben“, meinte der ältere Herr mit der karierten Mütze. „Bestimmt seid
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