Der kalte Schlaf
Jemand anders sorgt dafür, dass Dinah und Nonie in Sicherheit sind, also können Sie ruhig schlafen.«
Nein. Fast hätte ich mir gar nicht die Mühe gemacht, etwas zu erwidern, aber dann finde ich doch, dass es wichtig ist. Ich kann nicht zulassen, dass Sie mir Dinge über mich erzählt, die nicht wahr sind. »Ich glaube nicht, dass es daran liegt«, sage ich. »Vielmehr, ich weiß, dass es nicht daran liegt.«
Ginny schüttelt den Kopf. »Sie haben mir erzählt, Sie, Luke, Dinah und Nonie seien aus dem Fenster auf ein Flachdach geklettert.«
»Und?«
»Vielleicht geschah es unbewusst, aber aus diesem Grund haben Sie sich ausgerechnet für dieses Haus entschieden und nicht für ein anderes. Sie sahen dieses Fenster und das Dach und dachten: ›Notausgang. Fluchtweg.‹«
»Stimmt, aber ich schlafe nicht deshalb gut in Hilarys Haus, weil ein Polizist vor der Tür steht.«
»Achtzehn Monate waren Sie ganz allein und niemand anderes dafür verantwortlich, dass das, was Sharon passiert ist, nicht wieder geschah. Jedenfalls empfanden Sie es so. Deshalb mussten Sie jede Nacht durchs Haus patrouillieren.«
Ich starre aus dem Fenster auf den fallenden Schnee. Er fängt an, liegen zu bleiben. »Und was erwarten Sie jetzt, ein Goldsternchen?«, frage ich.
»Luke würde es nicht verstehen. Sie haben nicht mit ihm darüber gesprochen, weil das gar keinen Sinn hätte. Er würde nur sagen, es sei verrückt anzunehmen, Sharons Mörder würde auch ihren Kindern etwas antun wollen. Wenn er das vorgehabt hätte, hätte er sie bei ihrer Mutter im Haus gelassen, bevor er es in Brand steckte.«
»Könnten Sie bitte aufhören …«
»Was hätten Sie dem entgegenzusetzen? Nichts. Es stimmt ja, aber das ist Ihnen egal. Nichts, was Luke sagen könnte, kann etwas an Ihrer Überzeugung ändern, dass dasselbe noch einmal geschehen wird: Brandstiftung. Und beim nächsten Mal würden die beiden kleinen Mädchen vielleicht nicht so viel Glück haben. Wie also hätten Sie da schlafen können? Das Risiko ist viel zu hoch. Wie können Sie jemals wieder schlafen?«
Ich räuspere mich. Ich fühle mich, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden. Niemand kann die Prellungen und Brüche sehen, nur ich kann sie spüren. »Danke, dass Sie das für mich klargestellt haben«, sage ich. »Da dachte ich, ich bräuchte eine Therapie gegen Schlaflosigkeit, und wie sich herausstellt, brauchte ich nur einen vertrauenswürdigen Babysitter. Für jede Nacht.«
»Und in Hilary Haus haben Sie das«, sagt Ginny. »Und daher konnten Sie gestern Nacht schlafen.«
»Nein, das ist nicht der Grund.«
»Amber …«
»Scheiße noch mal. Sie mit Ihrer herablassenden Art …« Ich bin aufgesprungen. Nur gut, dass ich den Stuhl noch nicht in Liegeposition gebracht habe. Es ist schwer, empört hinauszustürmen, wenn man sich erst aus einer liegenden Position hochrappeln muss. Könnten Sie mich mal kurz hochstellen, damit ich gehen kann? »Bedaure, aber offenbar haben Sie doch nicht immer Recht. Glauben Sie wirklich, ich würde mich darauf verlassen, dass irgendein jugendlicher Bulle, über den ich gar nichts weiß, für Dinahs und Nonies Sicherheit sorgen kann? Dass ich irgendjemandem außer mir selbst zutrauen würde, mit dem Bösen fertigzuwerden …? Hören Sie, vergessen Sie’s. Das bringt doch nichts.« Ich taumle und greife nach der Türklinke. Ginny sagt irgendwas über das Böse, aber ich kann es nicht hören. Alles, was ich höre, ist eine klare, beharrliche Stimme in meinem Kopf, die niemandem zu gehören scheint. Sie glaubt offenbar, sie könne meine veränderten Schlafgewohnheiten erklären, wenn ich nur zuhören würde.
Halt den Mund. Halt den Mund. Du bist niemandes Stimme, du bist nicht meine Stimme, du weißt gar nichts.
Die Polizeipräsenz. Das war der Unterschied. Ginny hat Recht. So muss es sein.
Warum bist du dann so wütend auf sie? Warum gehst du?
Es erfüllt den ganzen Raum: das volle Gewicht all dessen, was ich jetzt mit Sicherheit weiß und nicht länger leugnen kann. Es füllt meine Nase und meinen Mund, bis ich fürchte zu ersticken. Ich muss hier raus.
Ich reiße die Tür auf, laufe in den Schnee hinaus und Simon Waterhouse in die Arme.
Da Sie ja nicht herablassend behandelt werden wollen, werde ich absolut offen zu Ihnen sein. Ich finde Ihr Ansinnen empörend. Dass Sie sich auf Augenhöhe fühlen wollen, ist eine Sache, aber zu verlangen, dass ich Ihnen erzähle, welchen Geheimnissen ich mich im Verlauf meiner
Weitere Kostenlose Bücher