Der Kindersammler
Stra ß en, aufw ä ndig renovierten Altbauten, kargen Hinterh ö fen und Kaufh ä usern vorbeirumpelte. Sie f ü hlte sich wie ger ä dert und f ü rchtete sich davor, sich gleich auf die unterschiedlichsten Fakten und Details eines Kindermordes konzentrieren zu m ü ssen. In ihrem Abteil hatte fast w ä hrend der gesamten Fahrt eine Gro ß mutter versucht, ihrem Enkel den bl ö dsinnigen Spruch » In Ulm und um Ulm und um Ulm herum wachsen Ulmen « beizubringen. Der kleine Junge verstand den Satz nicht, wahrscheinlich wusste er nicht einmal, was Ulm ü berhaupt ist, und daher konnte er ihn auch nicht behalten. Er murmelte st ä ndig irgendwelche unzusammenh ä ngenden U-Laute, w ä hrend die Oma den Satz wie ein Automat ununterbrochen wiederholte. Mareike war fast wahnsinnig geworden, aber sie hatte sich nicht eingemischt, weil sie mit der alten Dame keine sinnlose Diskussion f ü hren wollte. Doch in ihrem Hirn ratterte dieser f ü rchterliche Zungenbrecher, und sie war nicht in der Lage, die Ermittlungsakten ü ber den Mord an Daniel Doll noch einmal durchzulesen und sich Einzelheiten in Erinnerung zu rufen. Jetzt belastete es sie, nicht hundertprozentig vorbereitet zu sein.
Mittlerweile hatte sich der ganze Gang mit Menschen gef ü llt, die am Bahnhof Zoo aussteigen wollten. Drei Personen hinter Mareike wartete die Oma mit ihrem Enkel. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, h ö rte Mareike noch, wie die Oma sagte: » Ach, du wei ß t nicht, was >Ulm< ist? Ulm ist eine gro ß e sch ö ne Stadt, und in Ulm und um Ulm und um Ulm herum wachsen lauter Ulmen. «
Es ist nicht immer die beste L ö sung, seine Kinder den Gro ß eltern anzuvertrauen, dachte Mareike entnervt und stieg aus. Bettina w ü nschte sich Kinder und lag ihr seit zwei Jahren mit der Bitte in den Ohren, ein Baby zu adoptieren. Aber Mareike wollte nicht. Ihr st ä ndig schlechtes Gewissen, weil sie wegen ihres Berufes zu wenig Zeit f ü r Bettina hatte, reichte ihr vollkommen. Wie sollte sie da noch Zeit finden, sich um ein Kind zu k ü mmern? Allerdings k ö nnte sich Bettina dann ihren Herzenswunsch erf ü llen und w ä re nicht immer so auf sie fixiert. Bettina arbeitete halbtags als Schul sekret ä rin, hatte nachmittags und Samstag, Sonntag frei und f ü hlte sich keineswegs ausgelastet. Mareike seufzte innerlich. Irgendwann mussten sie eine Entscheidung f ä llen.
Auf dem Bahnsteig sah sie sich suchend um. Menschen str ö mten in alle Richtungen, an der Laufrichtung konnte sie nicht erkennen, wo der Ausgang lag. Daher ging sie wahllos auf eine Treppe zu und zuckte zusammen, als pl ö tzlich jemand zu ihr sagte: rau Koswig? «
» Ja? «
Karsten Schwiers l ä chelte freundlich und streckte ihr zur Begr üß ung die Hand hin. » Mein Name ist Schwiers. Karsten Schwiers. Soko Benjamin. Sch ö n, dass Sie da sind, das hat ja wunderbar geklappt. «
» Ich wusste gar nicht, dass ich abgeholt werde. «
» Das hab ich auch spontan entschieden. Ich hab mir aus dem Personalcomputer Ihr Bild rausgesucht ... und hab Sie tats ä chlich gefunden! Wollen wir erst mal einen Kaffee trinken gehen? «
» Gerne. « Mareike entspannte sich zusehends. Karsten Schwiers war ihr auf Anhieb sympathisch. Typ Brummb ä r, ä lterer Papi, hart, aber herzlich, kann schnurren, aber auch knurren, ist von Natur aus ein fauler Sack, aber arbeitet sich tot, wenn ihm ein Fall an die Nieren geht. Mal sehen, ob ich mit meiner Prognose richtig liege, dachte sie, hoffentlich, denn das ist die Sorte Mann, mit der ich am besten zusammenarbeiten kann.
Karsten nahm ihren Koffer und beobachtete Mareike, wie sie mit federndem Gang die Treppe herunterging, und machte sich ebenfalls sein Bild nach dem ersten Eindruck. Ende drei ß ig, sportlich, praktisch veranlagt, ziemlich uneitel. Gef ä llt mir. Bei ihr hat man wenigstens keine Angst, dass sie mit albernen Pfennigabs ä tzen in jedem Gulligitter stecken bleibt. Sie sieht aus, als ob sie Kraft hat, und sie tr ä gt keine Brille. Wahrscheinlich kann sie gut schie ß en, ist relativ angstfrei und l ä sst sich sicher nicht die Butter vom Brot nehmen.
Sie gingen direkt im Bahnhof in ein kleines Caff. Die Bedienung brachte den Kaffee sofort, aber daf ü r war er auch nur lauwarm. Karsten r ü hrte drei geh ä ufte Teel ö ffel Zucker in seine Tasse, was Mareike gew ö hnungsbed ü rftig fand, aber nicht kommentierte.
» Wie wollen wir vorgehen? « , fragte Karsten. » Fahren wir aufs Revier und erstellen anhand der Tatortfotos eine
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