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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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schließlich handelte es sich um die letzte Neujahrsnacht, die Wien je erleben würde, und dieses Publikum war wild entschlossen, sie nach Gebühr zu feiern.
    Es war eine wunderbare Inszenierung: klar, bunt und stringent, schwungvoll, aber nicht gehetzt; man spielte in historischen Kostümen aus der Zeit, in der Johann Strauß seine Operette schrieb. Der Regisseur trat im dritten Akt selbst als Frosch auf, und er gab diesen dienstbaren Geist sozusagen als Ideal, als platonische Idee des österreichischen Beamten: versoffen, knechtselig und zutiefst gutmütig.
    Die Fledermaus entfaltet sich bekanntlich im Dreivierteltakt – im ersten Akt wird kräftig geheuchelt, im zweiten Akt wird mächtig gelogen, am Schluss löst sich alles in Wohlgefallen auf. Im Zentrum des Geschehens steht (tänzelt, torkelt) Gabriel von Eisenstein: der gute Mann muss in den Arrest, weil er einen Polizisten geohrfeigt hat, gedenkt aber, die letzte Nacht in Freiheit mit einem großen Souper beim sagenhaften Prinzen Orlofsky zu verbringen, denn dort soll es Champagner und junge Balletttänzerinnen geben. Seine Gemahlin Rosalinde verfällt unterdessen um ein Haar einem Operntenor, und das Stubenmädchen Adele erfindet eine sterbenskranke Tante, weil auch sie zu jenem Souper will – ohje, wie rührt mich dies. Beim Grand Souper erscheinen dann eigentlich alle mit einer falschen Identität. Gabriel vonEisenstein tut so, als sei er Franzose, obwohl er kein Wort Französisch kann. Seine Gemahlin spielt in Maske den Ehrengast: eine ungarische Gräfin, sie beschwört mit unsäglichen Koloraturen ihre ewige Heimat und legt einen tollen Csardas hin. Gabriel und Rosalinde brechen ein wenig ihre ehelichen Treueschwüre, aber zu guter Letzt stellt sich heraus: alles nur Inszenierung, alles nur Schein, alles ein Champagnertraum, alles die Rache der Fledermaus (denn Gabriel von Eisenstein hat seinem besten Freund im Vollrausch einmal übel mitgespielt, als der gerade ein Fledermauskostüm trug). Und das versteht sich: Die Rache der Fledermaus ist überhaupt nicht böse oder unheimlich, sie will niemandem wehtun, das Ganze war nur ein riesenbunter Mordsspaß – prost, Freunde, prost!
    Wenn Alexej und Barbara in ihrer privaten Loge von dem Treiben zu ihren Füßen manchmal nur wenig mitbekamen, so lag dies daran, dass sie anderweitig beschäftigt waren. Ein letztes Mal sein Atem an ihrem Hals; ein letztes hingeseufztes Stöhnen; ein letztes Mal ihre schmale Hand in seinem Haar; ein letzter langer Kuss. Und wenn Alexej zwischendurch ein Textfragment aufschnappte, einen Musikfetzen hörte – dann lächelte er wider Willen, aber noch mitten im Lächeln traf jedes Wort aus dem albernen Libretto ihn wie ein Hammerschlag. Es war, als sei dort unten auf der Bühne alles bitterernst gemeint:
    Wem soll mein Leid ich klagen,
Oh Gott, wie rührt mich dies!
Ich werde dein gedenken
Des Morgens beim Kaffee,
Wenn ich dir ein will schenken,
Die leere Tasse seh’ …
    Am schlimmsten hämmerten die folgenden albernen Verse auf ihn ein:
    Sind die schönen Äuglein klar,
Siehst du alles hell und wahr.
Siehst, wie heiße Lieb’ ein Traum,
Der uns äffet sehr …
    Und der berühmte Refrain:
    Glücklich ist, wer vergisst,
Was doch nicht zu ändern ist.
    Was trug das Schicksal doch für eine höhnisch-graue Steinmaske! Seine Eltern hatten Alexej verraten: Er war ihnen egal gewesen, von Herzen gleichgültig, sie hatten ihn ausgesetzt, mutterseelenallein hatten sie ihn auf diesem Höllenplaneten zurückgelassen. Jedes dumme Tier kümmerte sich um seinen Nachwuchs, nicht aber sein Vater und jene, die ihn auf die Welt gesetzt hatte. Und jetzt ließ ihn auch noch seine geliebte Frau im Stich. Die Einzige, die sich jemals erotisch für ihn interessiert hatte; die Eine Eine Eine, mit der er in diesem Leben schlafen würde. Er war eben hässlich, ein Faktum, das man nur schönreden, nicht ändern konnte. Nie würde er Barbara Gottlieb wiedersehen – und wenn er ihr doch einmal durch Zufall begegnete, dann bestimmt in Begleitung ihres Göttergatten, darauf verzichtete er gern. Nach einem halben Jahr voller Seligkeit war er wieder am Ausgangspunkt angelangt: Die Liebe war eine Katastrophe, das hatte er nun gelernt. Das würde er sich merken. Noch einmal ihre Nacktheit unter den Fingerspitzen spüren: Schlaflose Nächte standen ihm bevor und zähneknirschendes Selbstmitleid.
    Glücklich iiiist, wer vergiiiisst,
Was doch nicht zu ändern iiiist.
    Wenn das stimmte, war er zum Unglück

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