Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
Suzannah sich über den Tisch beugte, konnte Crystal, die hinter ihr stand, in ihrem Schamhaar sechs kleine Goldringe glitzern sehen, mit denen ihre Schamlippen gepierct waren.
Suzannah richtete sich auf. Sie kniff sich ein paar Mal die Nase, schnüffelte mit tiefen Zügen die Luft in sich hinein und blickte zu der Gustav-Becker-Uhr auf, die an der Wand tickte. Es war 11:33 Uhr. Sie wandte sich zu Crystal und sagte: »Wir haben nicht viel Zeit, Liebes, bis unser Gast kommt. Er wird in einer Stunde hier sein.«
Crystals Blick verfinsterte sich und sie ging ans Fenster. Am Ende der Nebenstraße, die in die Royal mündete, konnte sie die Parade der Festwagen sehen, und einen Augenblick lang sogar die Figur des Comus, der seinen Trinkkelch in die Höhe hielt. Die Menge jubelte ihm wie von einer Flut erfasst zu, als er vorbeiging. Crystal seufzte.
»Müssen wir uns die Party entgehen lassen?«, fragte sie.
»Liebste«, sagte die Frau mit weicher Stimme. Ihre Augen waren jetzt glasig, ihr Gesicht von der Wirkung des Kokains gerötet. »Du musst begreifen, dass manche Dinge wichtiger sind als andere. So wie dieser Mann heute Abend. Er ist sehr wichtig für uns .«
Crystal nickte abwesend, plötzlich verspürte sie die berauschende Nervosität, die die Droge erzeugte. Ihr Gesicht fühlte sich wie gefroren an und in ihren Zähnen war kein Gefühl. Als sie an sich herunter auf ihre Brust blickte, schien es ihr, als würde ihr Herz wie wild schlagen, bemüht, sich loszureißen, und jedes Ticken der Uhr machte ihr die Vibrationen in diesem Raum noch deutlicher.
Wenn die Wände nicht gewesen wären, hätte dieser Raum sich kaum von jedem beliebigen anderen eleganten Salon in New Orleans unterschieden. Für Crystal war es unheimlich, dass so viele leere Augen jede ihrer Bewegungen beobachteten. Suzannah hatte diese Hälfte des Obergeschosses des alten Lafon-Hauses vollständig mit Antiquitäten möbliert. Der größte Teil des Mobiliars stammte vom Kunsttischler Prudent Mallard und war gewaltig, prunkvoll und viktorianisch. Obwohl Mallard seine Schnitzereien in Palisander gearbeitet hatte, bevorzugte Suzannah Masken.
Mehr als hundert verschiedene Masken bedeckten die Wände.
An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand hingen die Masken Afrikas: eine Oulé-Maske von Bobo, ein Senufo-Feuerspeier; eine Nalindele-Maske und ein Fruchtbarkeitskopf der Ashanti.
Die Wand rechts vom Fenster war den Masken des Nahen und Fernen Ostens vorbehalten: eine Mumienmaske aus Ägypten und eine römische Maske des Pan, eine japanische Gigaku und ein chinesisches T’ao-T’ieh-Gesicht.
Links vom Fenster waren drei geschlossene Türen, die die Masken Amerikas säumten: eine Totenmaske der Inka und eine Salish-Geistermaske; ein Falsches Gesicht der sechs Irokesen-Nationen und eine Kachina-Puppe der Hopi.
Die Fensterwand zierten moderne Masken. Links von der Scheibe hingen ein Beelzebub von Theodore Benda und eine deutsche Scharfrichtermaske. Über ihr grinsten ein Corbel aus England, eine Creon-Maske aus Stratford und ein Husarentotenkopf. Auf der rechten Seite waren die Fingermaske eines New York Yankee, eine Gasmaske aus dem Ersten Weltkrieg und ein Umhang des Ku-Klux-Klan zu bewundern.
Und draußen vor dem Fenster tanzten die Masken des Mardi Gras.
Suzannah huschte katzengleich über die Dielen und streichelte Crystals Haar. Beide sahen sich die Parade an.
»Was hat alles das zu bedeuten? «, fragte Crystal. »Das würde ich gerne wissen.«
»Zu bedeuten? Es bedeutet gar nichts. Es ist nur etwas, was man spürt. Man lässt sich treiben.«
Crystal schloss die Augen, bewegte den Kopf im Rhythmus der Streichelbewegungen. Es fühlte sich so gut an.
»Du musst wissen«, fügte Suzannah hinzu, »der Karneval spricht menschliche Urtriebe an. Fast jeder birgt in sich den Wunsch, gelegentlich eine Maske aufzusetzen. Es gibt keine Kultur in der Geschichte, in der nicht Masken eine Rolle gespielt haben.« Suzannah flüsterte jetzt. »Komm mit.«
Zusammen gingen sie zu einer links in die Wand eingelassenen Tür. Die Frau öffnete sie und sie betraten das dahinter liegende Schlafzimmer.
Der Raum war ein einziger Gegensatz, ein Rausch von Rot und Schwarz. Die Wände waren mit rotem Satin bespannt, die Vorhänge aus rotem Samt, die über das Bett drapierte Decke rotes Patchwork. Der Teppich jedoch war schwarz. Das Mobiliar – ein Toilettentisch, ein Kleiderschrank und ein Schminktisch mit Spiegel – bestand aus schwarzem Ebenholz und Onyx. Und
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