Der Mann aus Israel (German Edition)
habe an der Rezeption gehört, dass heute im Kibbuz
Folklore-Abend ist.“ Das ist die Stimme von Gerlinde Kampfhan. „Ohne h“ ,
sagt sie immer dazu. Die Gruppe hat sie Woghilde getauft. Sie könnte ohne
weiteres einer Walküren-Inszenierung der Dreißiger Jahre vom Grünen Hügel in
Bayreuth entspringen. Sie ist groß, hat lange, fleischige Gliedmaßen, einen
beeindruckenden Busen, den sie gerne vorzeigt. Die blauen Augen, tellergroß und
hervorstehend, sind im gleichen Blau umschminkt. Und als ob dies noch nicht
reichte, hat sie langes, wallendes blondes Haar. Meist trägt sie Gewänder, die
bis zum Boden reichen, vorne und hinten weit hinauf geschlitzt. Heute Abend hat
sie sich besonders raffiniert zurechtgemacht. Der Ausschnitt reicht bis zu den
Brustwarzen, die dicken Lippen sind mit Konturstift eingerahmt und blutrot
ausgemalt. Damit macht sie jetzt eine kindliche Schnute und haucht Raffael, der
ihr gegenüber sitzt, zu.
„Raffael, führen Sie uns dort hin? Ich möchte mich so gerne
amüsieren.“ Das ü dehnt sie lange aus. Ich zwicke Raffael unterm Tisch
in den Oberschenkel. Jetzt muss er sich etwas einfallen lassen, sonst ist er
dran. Ich freue mich schon auf seine Ausrede, schlagfertig ist er ja, denke ich
amüsiert.
„Aber natürlich, sehr gerne gehe ich mit Ihnen dort hin.“
antwortet er. Dieser Satansbraten, fluche ich innerlich. Am Ende gefällt ihm
Woghilde noch. Das kann doch einfach nicht sein. Ich schaue sie genauer an.
Findet er sie etwa sinnlich? Dieses monströse Fleischpaket? Er braucht
wahrscheinlich Sex. Ja, so wird es sein, ganz einfach. Es scheint Männer zu
geben, die halten es nicht einmal zwei Tage ohne aus, dann hängt ihnen die
Zunge heraus. Dann soll er sein Glück ruhig bei ihr versuchen, diese Schlampe
bietet sich aber auch förmlich an. Ich spüre, wie die Enttäuschung sich über
mein Herz stülpt. Ich sehe ihn schon mit Woghilde im Grand Lit, die beiden
üppigen Körper ineinander verschlungen.
„Was meinst Du, Elisabeth, wollen wir uns alle in der Halle
treffen und gemeinsam hingehen?“ höre ich die Stimme des Erzengels mich fragen.
Ich muss lachen, so erleichtert mich sein Angebot und schaue ihm in die Augen,
die mich neugierig betrachten. „Da musst Du schon alleine hin.“ sage ich zuckersüß.
Endlich kann ich ihm eins auswischen. Wie mich das freut. „Ich kann mir nichts
Dussligeres vorstellen als dieses volkstümliche Geschunkel.“
„Du beleidigst mein Volk.“ lacht er mich an. „Aber Du hast
ja recht, Du bist sicher in besserer Gesellschaft bei Deinen phönizischen
Tontäfelchen. Vielleicht kannst Du ja eine ganze Zeile entziffern, während wir
uns amüsieren.“
Er zieht das ü wie Gerlinde Kampfhan und lacht so
frech dabei, dass er aussieht wie ein Lausbub. Und ich ärgere mich. Wieso
krieg` ich den nicht klein? Woher weiß der überhaupt, dass das Entziffern von
phönizischen Tontafeln meine Leidenschaft ist? Redet er hinter meinem Rücken
mit der Gruppe über mich? Was geht ihn das überhaupt an, mit was ich mich
beschäftige. Immerhin scheint es mir seriöser, sich intellektuell zu
beschäftigen, als Sex-Abenteuer zu suchen. So wie er.
„Schon gut, mein Kleines“, sagt er zu mir. „Du musst mich
nicht vergiften mit Deinen Blicken. Eine Rast vor mir hast Du wirklich
verdient.“
„Aber, liebe Elisabeth“, tönt es von allen Seiten. „Sie
müssen mitkommen.“ „Ohne Sie ist alles nur halb so schön.“ „Das können Sie uns
nicht antun.“ „Für einmal können doch die Tontäfelchen warten.“ Ich lasse mich
überreden. Wir verabreden uns in der Halle. Ich gehe noch einmal in mein
Zimmer, spritze ein bisschen viel „Venezia“ in die Haare und auf den Hals,
gurgle mit Mundwasser und gehe pfeifend durch den tropischen Blumengarten von
meinem Pavillon zur Rezeption. Es duftet herrlich, die Sterne glitzern am
Himmel und der milde Nachtwind schmiegt sich leicht um meine nackten Arme.
„Vielleicht schenkst Du mir heute Abend einen Tanz?“ fragt
mich der Erzengel, als wir vom asphaltierten Hotelbereich hinüber in die
Wohnanlage des Kibbuz marschieren. Dort ist alles sehr einfach, die Wege sind
lehmig, die Häuser im Einheitsstil. Die Fensterläden, Haustüren, Gartenmöbel,
Zäune schauen mitgenommen aus, ein wenig vernachlässigt. Den Bewohnern scheint
das nichts zu bedeuten, sie strömen laut redend und gestikulierend zum großen
Ess-Saal, der den jeweiligen Bedürfnissen im Handumdrehen angepasst wird. Heute
Abend wird daraus
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