Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
einem Schnitzer des herausgeeilten Torwarts der gegnerischen Mannschaft. Es war schon fast eine Selbstverständlichkeit, dass Marc Kliff sein Team rettete. Fast entschuldigend guckte er zum Torwart, der seinen Blick zuerst hasserfüllt entgegnete, ihm jedoch dann, fast lächelnd, seine Bewunderung zunickte.
Lange lässt er das heiße Wasser über seinen geschundenen Körper rinnen. Er schließt dabei die Augen und versucht, seinen Erfolg zu genießen. Doch wie so oft in letzter Zeit gelingt es ihm nicht. Immer wieder schweifen seine Gedanken ab. Marc fühlt sich alleine und unverstanden. Fremd in einer Welt, in der er erwachsen geworden ist. Niemandem kann er sich anvertrauen. Niemand wird ihn verstehen.
René riss ihn aus seinen Gedanken. »Mach schon! Die Presse wartet auf dich.«
Schnell trocknete er sich ab, zog sich seine Klamotten über und war für die Interviews bereit. Noch funktionierte er, noch hatte er die Kraft, den erfolgreichen Sportler zu mimen. Professionell ließ er die Fragen, die er schon hundertmal beantwortet hatte, über sich ergehen. Anschließend fuhren sie mit dem Bus zum Verein. Während der Traineranalyse war er gedanklich schon in seinem Appartement, in dem er sich seit Wochen einigelte.
Als er ins Auto stieg, hielt ihn René auf.
»Ich will mit dir reden!«, herrschte er ihn an. »Komm, gehen wir ins Stadion.«
René war aufgebracht, es war klar, dass er keine Ausrede akzeptieren würde, also fügte sich Marc.
»Was ist los mit dir?«, schnauzte er ihn an, bevor sie sich auf die Zuschauertribüne setzten.
»So ein leeres Stadion hat schon etwas Unheimliches, findest du nicht?«, versuchte Marc abzulenken. So aufgebracht hatte er René selten gesehen.
»Das ist mir jetzt vollkommen egal«, antwortete René.
Schnell stand Marc auf und ging ein paar Schritte in Richtung Spielfeld. Dann drehte er sich zu René um, der immer noch in den Zuschauerreihen saß und ihn beobachtete.
»Also sag was!«, schrie er Marc entgegen. »Du redest nicht mehr mit mir, du sonderst dich ab, du hast permanent einen Blick drauf, als ob du gleich losheulen würdest …«
»René«, unterbrach ihn Marc scharf. »Ich glaube kaum, dass du den Grund hören möchtest.»
»Warum spielst du immer den Geheimnisvollen? Also, sag schon, was los ist«, entgegnete René ungeduldig.
»Weißt du«, begann Marc erneut und bemühte sich, einen anderen Ton anzuschlagen, »es gibt Dinge im Leben, mit denen muss man alleine fertig werden.«
»Bist du krank?«, ließ René nicht locker und folgte ihm jetzt in Richtung Spielfeld.
»Vielleicht«, meinte Marc mehr zu sich selbst.
»Muss man sich Sorgen um dich machen?«, Renés Stimme klang wirklich besorgt. Er war jetzt bei Marc angekommen und legte fast besorgt seine Hand auf dessen Schulter.
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Marc und sprach gleich weiter, »aber René, ich will dich damit nicht belasten. Du hast genug mit deiner Familie zu tun. Ich werde damit schon fertig.« Dann lief er los, bis auf die andere Seite des Spielfeldes. Er hielt die Nähe zu René in diesem Moment nicht aus.
René guckte ihn wortlos nach. Dann begann er von Neuem: »Weißt du eigentlich, was Freundschaft bedeutet, Marc? Ich dachte mir immer, wir haben so etwas Ähnliches wie eine Freundschaft. Aber nun bin ich mir nicht mehr so sicher. Permanent mimst du den starken, erfolgreichen Typen. Aber irgendetwas hast du … Und für mich bedeutet Freundschaft, dass man nicht nur die schönen Zeiten miteinander teilt.« Während René sprach, ging er genau bis zur Mitte des Spielfeldes.
Marc wollte sich am liebsten verkriechen. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Er spürte nur, dass René ihm viel wichtiger war, als er bisher gedacht hatte. Und er wollte diese Freundschaft auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Er setzte sich in Bewegung bis er, wie René, in der Mitte des Feldes ankam. Nun standen sich die beiden Männer gegenüber. Lange schaute Marc zu René, bis er anfing zu sprechen: »Vergiss nicht, dass ich dich vorgewarnt habe. Ich wollte dich damit echt nicht belasten.« Marc hatte einen Kloß im Hals. Seine Stimme begann zu zittern. Er war es leid. In diesem Augenblick kam es ihm so vor, als gehe es ihm wirklich nicht um sich selbst. Eher um die Verantwortung, die er damit René auferlegen würde.
Fordernd blickte René, der jetzt ganz ruhig im Feld stand, in Marcs Gesicht. Der hielt seinem Blick stand und sagte ganz ruhig:
»Ich bin schwul.«
Pause. René
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