Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
meinem Leben nicht viele gute Menschen kennengelernt. Nein, das stimmt so nicht. Ich kenne überhaupt nur wenige Menschen. Egal, Tia ist ein guter Mensch. Ein wirklich guter Mensch. Sie akzeptierte mich so, wie ich bin. Das passiert mir nicht oft. In meiner alten Welt mochten sie mich nicht mehr, als ich zu meinen Gefühlen stand. Ich bin schwul. Und das mochten sie nicht.« Während Marc sprach, liefen ihm Tränen übers Gesicht.
So lang ist es her, dass er wirklich richtig geweint hatte. Aber jetzt weinte er. Er schluchzte und konnte nicht aufhören. Der Arzt kam auf ihn zu, und legte Marc die Hand auf die Schulter. Zwischen den beiden schaute Li verwundert hin und her. Es schien so, als ob sie die Situation genau beobachtete. Langsam beruhigte sich Marc. Er entschuldigte sich bei dem Arzt und weinte weiter.
Sie gingen einen langen Gang entlang. Das weiße Licht ließ Marc noch heller wirken. Li zappelte in dem Dreieckstuch mit ihren Beinchen. Der Arzt drehte sich unvermittelt um. »Aisun, mein Name ist Aisun.«
Marc verbeugte sich auch und sagte: »Marc, mein Name ist Marc, und das ist Li, aber das habe ich dir ja schon gesagt.«
Aisun öffnete eine Tür. In dem Raum befanden sich unzählige Betten. Menschen saßen überall herum. Marc entdeckte Tia. Sie lag regungslos in diesem großen Krankenhausbett. Darin wirkte sie noch zerbrechlicher als sonst. Ihr Gesicht war geschwollen. Die Wunden waren gereinigt. Sie wirkte so friedlich. Marc nahm Li aus dem Tuch und bat Aisun, sie kurz zu halten. Er kniete sich zu Tia ans Bett und nahm ihre Hand. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Du darfst mich nicht verlassen, ich brauche dich doch, Li braucht dich …«
Tia zeigte keine Reaktion. Da sagte Marc und wusste nicht, woher er diese Worte nahm: »Du musst dir wegen Li keine Sorgen machen, ich kümmere mich um sie.«
Erneut begann er zu weinen, diesmal still in sich hinein. Irgendetwas brach in ihm wieder auf. Er begann zu empfinden, und das tat weh. Alles zerrann um ihn. Das, was er sich vorgenommen hatte, funktionierte nicht mehr. Er wollte doch nie mehr spüren, nie mehr empfinden. Doch er spürte und empfand, und es tat unsagbar weh. Marc stand auf und nahm Li wieder zu sich.
Dann sagte er mit fester Stimme zu Aisun, dass er alles machen solle, was er könne. Geld würde keine Rolle spielen. Denn er hatte einen Entschluss gefasst. Wenn er Tia damit das Leben retten könnte, würde er aus seiner alten Welt das Geld holen. Sollen sie doch wissen, wo er sich befand.
Aisun begleitete Marc nach draußen. Er erklärte ihm, dass kein Geld der Welt ihr helfen könne. Aber wenn er gläubig sei, solle er in einen Tempel gehen. Er gab Marc seine Handynummer und erklärte ihm, er könne ihn jederzeit anrufen. Aber jetzt solle er gehen, er könne hier nichts tun.
Marc stand mit Li vor dem Krankenhaus. Sein Herz pochte wie wild. Aber er musste jetzt für Tia und Li sorgen. Alles anderen war unwichtig. Er bog um die Ecke und entdeckte einen Tempel. Die Worte Aisuns fielen ihm ein. Er zog seine Flipflops vor dem mit Tausenden Elefanten verzierten Holztor aus. Nahm Li aus dem Dreieckstuch und betrat mit ihr den Tempel. Er kniete sich in eine Ecke und schloss die Augen.
»Bitte schick mir Kraft«, begann er, mit Buddha zu sprechen. »Bitte beschütze Tia und dieses kleine Mädchen.«
Lange saß er so da, bevor er den Tempel verließ.
Wieder ging er zurück zum Krankenhaus. Aisun konnte ihm nur sagen, dass die Situation unverändert war.
Mit dem wenigem Geld, das er noch besaß, fuhr Marc mit Li im Arm wild entschlossen in die Deutsche Botschaft. Er betrat die Empfangshalle der Botschaft. Die Frau am Empfang erklärte ihm, dass ohne Anmeldung kein Termin zu bekommen wäre. Doch dann drehte sie sich um. Sah sich Marc genauer an und fragte ganz verdutzt: »Sind Sie nicht Marc Kliff?«
Marc rollte mit den Augen und nickte.
Plötzlich war alles kein Problem mehr. Er wurde augenblicklich in ein Büro vorgelassen, in dem Marc in Kurzfassung erklärte, dass er keinen Pass und kein Geld mehr habe. Er aber dringend welches brauche. Der Botschaftsangestellte hörte sich Marcs Anliegen aufmerksam an. Als Marc eine Pause machte, sagte der Angestellte: »Wissen Sie eigentlich, dass Sie in Deutschland gesucht werden?«
»Ja, das kann schon sein«, antwortete Marc, »aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich muss irgendwie zu meinem Geld kommen, und ich brauche einen Pass oder einen Ausweis. Darf ich bitte mal telefonieren?«
Der Angestellte
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