Der Modigliani Skandal
Toast auf den kleinen Tisch. Samantha nahm am Frühstückstisch Platz.
Anita goß Kaffee in zwei Tassen und setzte sich dann auf den Stuhl gegenüber. Samantha aß schweigend, schob schließlich ihren Teller zurück und ließ eine Saccharin-Tablette in die Kaffeetasse fallen. Anita steckte sich eine kurze Zigarette mit Filtermundstück an.
»Hör zu«, sagte Samantha. »Wenn du unbedingt einen Job brauchst, wird es mir eine Freude sein, dich für mich arbeiten zu lassen. Du bist eine großartige Hilfe. Doch keinesfalls darfst du die Hoffnung auf ein College-Studium aufgeben.«
»Eine solche Hoffnung ist sinnlos. Das ist einfach nicht drin.«
»Ich will dir sagen, was ich tun werde. Du wirst bei mir richtig angestellt und bekommst genausoviel Geld wie jetzt. Während der normalen Zeiten studierst du am College, und während der Ferien arbeitest du für mich - und beziehst das Jahr über den gleichen Lohn. Auf diese Weise verliere ich dich nicht, du kannst deiner Mutter helfen, und du kannst studieren.«
Anita sah sie aus großen Augen an. »Sie sind so ungeheuer gütig«, sagte sie.
»Nein. Ich habe viel mehr Geld, als ich eigentlich verdient hätte, und ich gebe ja nicht viel davon aus. Bitte, sag ja, Anita. Ich könnte das Gefühl haben, jemandem etwas Gutes zu tun.«
»Mam würde sagen, das sei Mildtätigkeit.«
»Du bist ja inzwischen achtzehn - und brauchst ja nicht mehr auf sie zu hören.«
»Nein.« Das Mädchen lächelte. »Vielen Dank.« Sie stand auf und küßte Samantha impulsiv. In ihren Augen waren Tränen. »Haut mich glatt um«, sagte sie.
Samantha erhob sich mit einem verlegenen Lächeln. »Ich werde dafür sorgen, daß mein Anwalt was Entsprechendes aufsetzt, damit die Sache für dich abgesichert ist. Aber jetzt muß ich mich beeilen.«
»Ich werde nach einem Taxi telefonieren«, sagte Anita.
Samantha ging nach oben, um sich umzuziehen. Während sie in das hauchdünne weiße Kleid schlüpfte, das mehr gekostet hatte, als Anita in zwei Monaten verdiente, fühlte sie sich eigentümlich bedrückt. Es war einfach nicht richtig, daß sie die Möglichkeit besaß, mit Hilfe einer so kleinen Geste den Lebensweg eines jungen Mädchens zu verändern. Die Kosten dafür waren unerheblich - und zu allem wohl auch noch steuerlich absetzbar, wie ihr plötzlich einfiel. Es machte praktisch überhaupt keinen Unterschied; sie hatte Anita die Wahrheit gesagt.
Samantha hätte es sich mühelos leisten können, in einem feudalen Herrensitz in Surrey zu wohnen oder in einer Villa in Südfrankreich; doch gab sie von ihren enormen Einkünften verschwindend wenig aus. Anita war die einzig Vollzeitbedienstete, die sie je engagiert hatte. Sie wohnte in diesem bescheidenen Haus in Islington, hatte keine Jacht, nicht einmal ein Auto. Sie besaß kein Land, keine Ölgemälde, keine Antiquitäten.
Sie dachte an den Mann, der sie gestern abend besucht hatte - wie hieß er doch noch? Julian Black. Ein eher enttäuschender Typ. Normalerweise waren die Leute, die sich ein Herz faßten, sie spontan zu besuchen, interessant. Jeder rechnete damit, daß er einen ganzen Trupp von Leibwächtern passieren mußte, um zu ihr zu gelangen, die langweiligeren Typen versuchten's gar nicht erst.
Julian war ein recht angenehmer Gast gewesen - und nicht einmal ohne eine gewisse Faszination, solange er von seinem Thema, der Kunst, sprach. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß er eine unglückliche Ehe führte und Geldsorgen hatte: Diese beiden Dinge schienen seine Persönlichkeit hinreichend zu kennzeichnen. Sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß sie nicht daran dachte, sich von ihm verführen zu lassen; und er hatte auch keinen Versuch dazu unternommen. Nach ein paar Drinks war er wieder gegangen.
Sie hätte seine Probleme genauso mühelos lösen können wie die von Anita. Vielleicht hätte sie ihm Geld anbieten sollen. Er schien zwar nicht darum zu bitten, doch zweifellos brauchte er es dringend.
Gar kein so übler Gedanke: Künstlern finanziell unter die Arme zu greifen. Allerdings war die sogenannte Kunstwelt so eine widerwärtig prätentiöse Oberklassen-Szene. Da warf man mit Geld um sich, ohne etwas von seinem wirklichen Wert für wirkliche Menschen zu ahnen: für Menschen wie Anita und ihre Familie.
Es läutete an der Tür. Sie blickte durch das Fenster. Draußen wartete das Taxi. Sie nahm das Drehbuch und ging die Treppe hinunter.
Im schwarzen Taxi lehnte sie sich auf dem bequemen Sitz zurück und überflog noch
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