Der Nautilus-Plan
Toten ab. Jeder hatte einen Ausweis einstecken, aber alle waren auffallend neu. Das hieß, sie waren höchstwahrscheinlich gefälscht. Keine Waffen, kein Geld. Keine Handys. In der Hoffnung, im Obergeschoss mehr Glück zu haben, eilte sie auf das Treppenhaus zu.
Als sie durch die Tür ging, sah sie, dass sich an der Rückwand des Erdgeschosses, wo sie kurz zuvor zwei dunkle Gestalten hatte vorbeihuschen sehen, wieder etwas bewegte. Sofort machte sie ihre Taschenlampe aus, aber sogar das schwache Licht, das von draußen hereindrang, reichte aus, um eine dunkle Gestalt durch eine Tür hastig ins Freie humpeln zu sehen. Ihr fiel ein, dass sie auf dem Weg zum Lagerhaus an einer Durchfahrt vorbeigekommen war. Möglicherweise führte die Tür auf diese Durchfahrt hinaus. Die Gestalt trug eine Mütze. Sie sah keine Waffe. Hörte keine sich schließende Tür.
Liz konnte nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken, als sie ihren Weg nach oben fortsetzte und die Taschenlampe wieder anmachte. Sie sah sich auf jeder Etage gründlich um. Im obersten Stockwerk lagen zwei weitere Tote. Auch hier keine Waffen oder Handys. Demnach waren Sarah und Asher von sechs Männern festgehalten worden, während die Angreifer zu neunt gewesen waren.
Liz hob den Kopf, um zu lauschen. In der Ferne ertönte das Heulen einer Sirene. Ihren verletzten Arm haltend, rannte sie nach unten. Sie hatte Glück. Die Polizei hatte länger gebraucht als erwartet. Aber das war hier auch eine ziemlich üble Gegend. Die Polizei hatte also entweder erst sehr spät von dem Feuergefecht erfahren, oder sie hatte es nicht besonders eilig gehabt, anzurücken.
Als sie zu der dunklen Ladezone hinuntereilte, sah sie im Dunkeln wieder etwas vorbeihuschen und machte die Taschenlampe aus. Eine schemenhafte Gestalt kam durch die Garageneinfahrt. Polizei? Ein zurückkehrender Angreifer? Vielleicht der Mann, der kurz zuvor nach draußen gehinkt war?
Lizs Herz klopfte heftig, als sie sich auf die Fersen niederließ, um sich möglichst klein zu machen. Währenddessen drückte sich die Gestalt – ein Mann Mitte zwanzig – mit dem Rücken an die Wand und blieb stehen. Vermutlich musste er erst seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Das hatte sie nicht nötig. Sie konnte erkennen, dass er weiß war. Und er hatte eine hässliche Narbe im Gesicht, die von seinem Ohr bis zur Kehle lief.
Sie versuchte, Ruhe zu bewahren. Die Polizeisirene kam näher, aber ihr Verstand arbeitete noch immer nicht so rasch und reibungslos, wie sie gern gewollt hätte. Das machte ihr ernste Sorgen.
Der Neuankömmling hob den Kopf, um zu lauschen. Plötzlich blitzte ein Messer in seiner Hand auf, und er stieß einen leisen Pfiff aus. Unverzüglich huschten drei weitere Männer in das Lagerhaus und verteilten sich, als hätten sie so etwas schon öfter getan. Sie waren gekommen, um die Toten auszurauben und nach Waffen zu suchen. Sie kamen nicht wegen Liz, was sie aber nicht daran hindern würde, sie aus Angst oder Gier umzubringen.
Sich den Lärm ihrer Schritte zunutze machend, schlich Liz auf die Tür zu, die auf die Durchfahrt hinausführte. Auf halbem Weg stieß sie in der Dunkelheit mit dem Fuß gegen einen Gegenstand, worauf dieser scheppernd davonrollte. Sie blieb abrupt stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Die über die Toten gebeugten Jugendlichen richteten sich ruckartig auf und spähten in das Dunkel.
Liz fasste sich ein Herz und rannte los.
Wie ein Rudel Wölfe sprangen die Plünderer auf und nahmen die Verfolgung auf. Mehrmals über herumliegendes Gerümpel stolpernd, erreichte Liz die Tür. Sie stand leicht offen. Deshalb hatte sie nicht gehört, wie sie zugegangen war.
Sie huschte ins Freie und blickte sich hektisch um. Mülltonnen und Abfälle. Etwa drei Meter von ihr entfernt lag eine dunkelgrüne Jacke auf dem Kopfsteinpflaster. Jemand musste sie fallen gelassen haben. Vielleicht befand sich eine Waffe oder ein Handy darin.
Sie stürzte darauf zu, als wären ihr sämtliche Teufel der Hölle auf den Fersen, riss sie im Laufen vom Boden hoch und rannte, von Flüchen und Beschimpfungen im übelstem Argot begleitet, in Richtung Straße weiter. Als sie die Jacke an ihre Brust drückte, spürte sie darin einen kompakten rechteckigen Gegenstand. Sie griff in die Tasche. Ein Handy! Doch das war noch nicht alles – ein zusammengeknülltes Stück Papier. Sie steckte es in die Tasche zurück.
In der schwülen Luft hetzte Liz schweißüberströmt zwischen einem geparkten Taxi und
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