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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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über die Schul­ter des Esels und beug­te sich vor. Ein leich­ter, kal­ter Luft­zug be­weg­te sei­nen dün­nen, grau­en Bart. „Ich bin ei­ner von vie­len“, fuhr er fort. „Mein Meis­ter hat uns un­ter­wie­sen, und jetzt zie­hen wir durch das Land, um an­de­re zu leh­ren, und wir hof­fen, daß ei­ni­ge von de­nen, die wir un­ter­wei­sen, selbst ein­mal Pro­phe­ten wer­den.“
    „Nun, und was lehrt Ihr, Herr?“ frag­te Wang Kao.
    „Nur den rich­ti­gen Ge­brauch des Geis­tes“, er­wi­der­te Wu Hsi. „Mein Meis­ter war ein Ge­lehr­ter in Fen­chow, und als die große Ver­än­de­rung kam, sah er, daß es ei­ne Ver­än­de­rung im Den­ken des Men­schen war, und mach­te sich dar­an her­aus­zu­fin­den, wie die neu­en Kräf­te am bes­ten zu nut­zen sei­en. Es ist nur ein be­schei­de­ner An­fang, den wir hier ma­chen, und doch glau­ben wir, daß wir da­mit der Welt einen Dienst er­wei­sen könn­ten.“
    „Je­der von uns kann jetzt frei­er und bes­ser den­ken, Herr“, er­wi­der­te Wang Kao.
    „So ist es, ich be­fin­de mich of­fen­sicht­lich un­ter wür­di­gen Men­schen, und doch könn­te es sein, daß mei­ne arm­se­li­gen Wor­te euch et­was Neu­es brin­gen. Be­denkt, ihr Leu­te, wie oft der Geist, der Wil­le, über die Schwä­chen des Kör­pers tri­um­phiert hat. Be­denkt, wie oft die Men­schen wäh­rend Krank­heit, Hun­ger und Er­schöp­fung über­lebt ha­ben, wo je­des Tier zu­grun­de­ge­gan­gen wä­re. Und dann be­denkt, um wie­viel grö­ßer die Kräf­te jetzt sein müs­sen, wenn der Mensch sie nur be­nut­zen könn­te.“
    „Oh ja.“ Wang Kao ver­beug­te sich. „Ich se­he, daß Ihr über die Käl­te des Win­ters tri­um­phiert habt.“
    „Es ist heu­te nicht so kalt, um ei­nem Men­schen zu scha­den, wenn er nur weiß, wie er sein Blut warm und in Be­we­gung hal­ten kann. Das ist nur ei­ne Klei­nig­keit.“ Wu Hsi zuck­te mit den Ach­seln. „Ein er­höh­ter Geist, ein kraft­vol­ler Ver­stand kann sehr viel mit dem Kör­per tun; ich kann euch zum Bei­spiel zei­gen, wie man ei­ner Wun­de be­fiehlt, nicht mehr zu schmer­zen und zu blu­ten. Aber die Me­tho­den, sich mit den Tie­ren zu ver­stän­di­gen und sie zu Freun­den zu ma­chen; sich an die kleins­te Klei­nig­keit zu er­in­nern, die man je­mals ge­se­hen oder ge­hört hat; der Weg, kei­ne Ge­füh­le und kei­ne Wün­sche zu ha­ben, bis auf die, von de­nen der Ver­stand sagt, daß sie gut sind; die Fä­hig­keit, von See­le zu See­le mit ei­nem an­de­ren Men­schen zu spre­chen, oh­ne auch nur die Lip­pen zu öff­nen; die Me­tho­de zu er­ken­nen, wie die Welt wirk­lich ist, oh­ne sich in sinn­lo­se Träu­me­rei­en zu ver­lie­ren – das al­les könn­te, wie ich in al­ler Be­schei­den­heit glau­be, auf lan­ge Sicht von grö­ße­rem Wert für euch sein.“
    „O ja, das wä­ren sie wirk­lich, eh­ren­wer­ter Herr, und wir sind des­sen nicht wür­dig“, er­klär­te Wang Kao ehr­fürch­tig, fast er­schreckt. „Wollt Ihr jetzt nicht her­ein­kom­men und mit uns es­sen?“
    Es war ein großer Tag für das Dorf, ob­wohl die Bot­schaft so lei­se und un­auf­fäl­lig ge­kom­men war. Wang Kao dach­te dar­an, daß es bald ein großer Tag für die gan­ze Welt sein wür­de. Er frag­te sich, wie die Welt wohl in zehn Jah­ren aus­se­hen wür­de, und selbst sei­ne ge­dul­di­ge See­le konn­te kaum er­war­ten, es zu se­hen.
     
    Drau­ßen vor den Sicht­lu­ken war der Him­mel – Eis und Schwär­ze, ei­ne Mil­li­on fros­ti­ger Son­nen ver­streut in ei­ner ele­men­ta­ren Nacht. Die Milch­stra­ße er­goß sich als bril­lan­ter, strah­len­der Strom, Ori­on stand gi­gan­tisch vor der Un­end­lich­keit, und al­les war kalt und laut­los.
    Der Raum um­gab das Schiff wie ein schwei­gen­der Ozean. Die ir­di­sche Son­ne schrumpf­te zu­sam­men, als sie der End­lo­sig­keit zu­streb­ten, und dann gab es nur noch Nacht und Stil­le und die ti­ta­ni­sche schim­mern­de Schön­heit des Fir­ma­ments. Pe­ter Co­rinth blick­te auf die Ster­ne, je­der ein flam­men­der Rie­se, spür­te ih­re schreck­li­che, un­faß­ba­re Ein sam­keit und fühl­te, wie er in­ner­lich er­beb­te. Das war das All, das al­le Vor­stel­lungs­kraft spreng­te, Wel­ten über Wel­ten – und

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