Der Neid eines Fremden
innerlich zu Ende geführt hatten. Hilflos blickte er zu Rosa hinüber. Wie konnte er es wagen, einer intelligenten und fähigen Frau, mit der er seit fünfzehn Jahren zusammenlebte, die Entscheidungen getroffen hatte, die sein eigenes Leben und das seiner Kinder beeinflußt hatten, ohne ihn um Rat zu fragen, weil das der Art ihrer Beziehung entsprach - wie konnte er es wagen, einer solchen Frau zu sagen, sie hätte zu tun, was er ihr sagte? Weder Instinkt noch Tücke bewegten ihn, die nächsten Sätze zu sagen. Er sprach aus der Tiefe seines Herzens, als sei lediglich seine Frau anwesend: »Rosa - wenn dir irgend etwas zustieße, könnte ich nicht weiterleben.«
Sie kam sofort auf ihn zu. Sie faßte ihn an den Händen: »Hör zu, Leo. Wenn ich jetzt weglaufe, werden wir nie wieder in Ruhe leben können. Ja - ich denke, du solltest die Kinder wegbringen. Durch sie kann er mich mehr treffen als auf irgendeine andere Art. Vielleicht wird ihm diese Möglichkeit nie einfallen, aber wir können das Risiko nicht eingehen. Doch ich werde hierbleiben.« Er wollte etwas erwidern, aber sie fuhr unbeirrbar fort. »Selbst wenn ich jetzt weggehe, kann ich nicht für immer fortbleiben. Was soll geschehen, wenn er nicht innerhalb eines Monats gefaßt wird? Innerhalb eines halben Jahres? Eines ganzen Jahres? Einige Mörder werden nie gefaßt. Kannst du dir vorstellen, daß wir für den Rest unseres Lebens getrennt sind - während ich mich wie ein Tier versteckt halte? Und traust du ihm nicht zu, daß er das Haus beobachtet und dir folgt, wenn du uns besuchen kommst? Liebling, ich weiß, wie du dich fühlst. Wäre die Situation umgekehrt, ginge es mir ähnlich.«
Sie lockerte ihren Griff. Ihr wurde bewußt, daß sie die Wahrheit gesagt hatte. Der Anblick seiner Verzweiflung, seines angespannten, alternden Gesichts, das von Liebe und Angst gezeichnet war, hatte mit einem Schlag ihre Gefühle für ihn ins Leben zurückgerufen. Sie merkte, daß ihr diese Gewißheit Auftrieb gab: die Liebe für ihn, ihre Kinder, ihr gemeinsames Leben. Wie teuer ihr all das war! Jetzt kam ihr die Beziehung zu Duffy trivial vor, schien sie nichts anderes als ein übertrieben romantisches Zwischenspiel gewesen zu sein.
Sie fuhr fort: »Ich will dich nicht bitten, es gelassen hinzunehmen - das wäre albern -, aber die Polizei hat mir Schutz garantiert, und wenn er es wieder versucht« - instinktiv drückte sie seine Hand -»werden sie ihn fassen.«
»Mein Gott, du kannst dich nicht darauf verlassen, Rosa.« Leo wandte sich an den Chief Inspector. »Können Sie das garantieren?«
»Wir können nur garantieren, daß Ihre Frau unter Schutz stehen wird, Mr. Gilmour. Offensichtlich können wir nicht ständig für Ihre Sicherheit garantieren.«
»Siehst du?« Leo wandte sich wieder Rosa zu. »Du bedeutest ihnen nichts. Für sie bist du nur ein weiteres, beliebiges Opfer. Ein Name in ihrer Statistik. Wir könnten das Haus verkaufen. Umziehen in -«
»Leo. Überleg dir, was du da sagst. Du würdest das Leben der Kinder zerstören, sie von ihren Freunden trennen, ihre Ausbildung unterbrechen. Deine eigene Arbeit würde darunter leiden. Denk an deine Forschungsarbeiten. Du gehörst zum Ärzteteam von St. Thomas. Jetzt beginnst du mit Veröffentlichungen. Du kannst nicht irgendwo anders von vorn anfangen. Ich werde nicht zulassen, daß ein Verrückter, den ich nicht einmal kenne, unser Familienleben zerstört. Das werde ich nicht zulassen, Leo!« Rosa hielt außer Atem inne: Mit unerbittlicher Klarheit wurde ihr bewußt, daß sie diesen plötzlichen Energieausbruch ihren grausamen Vorstellungen von Fenns Vernichtung verdankte. Woher kamen diese Bilder, daß sie sich den Vorstellungen einer Frau aufdrängen konnten, die bislang nur Ruhe, Liebe und Friedfertigkeit gekannt hatte? Sie dachte, wir sind alle dazu fähig; ich bin dazu fähig, jemanden umzubringen.
Sie spürte, daß dieses Wissen sie auf eine nicht näher bestimmbare, subtile Weise veränderte. Etwas ruhiger fuhr sie fort: »Ich will ihn sehen. Ich will wissen, wie er aussieht. Will dem dreckigen Kerl Gesicht und Namen geben, der sich in mein Leben eingeschlichen, unser Glück zerstört und meine Kinder verängstigt hat.« Sie wandte sich an Pharaoh. »Ich komme jetzt mit Ihnen, um die Aussage zu unterschreiben.«
Als sie hinausgingen, sagte Leo: »Morgen wird die Presse die Informationen haben. Sobald die Öffentlichkeit weiß, wie er aussieht -«
Der Chief
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