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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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sich plötzlich auf der Hacke umdrehte und aus dem Fenster hinausspähte. Aber die Vernunft sagte ihr, dass er sie gar nicht sehen konnte – doch sein Gesichtsausdruck genügte. Die Angst grub ihre steifen Finger in Irenes Körper und sie vermochte sie nicht einmal Jimmy gegenüber zu verbergen. Ihre Stimme trug kaum, als sie mit verfrorenen Lippen flüsterte: »Jimmy, die wissen, dass wir hier sind!«
    »Das ist unmöglich. Wie sollten sie …?«
    Der Gedanke kam ihnen gleichzeitig. Die Ferienhäuser. Das Motorrad hinter dem Holzstapel. Sie waren trotz allem entdeckt worden. Irene fragte: »Wie spät ist es?«
    Er schob seinen Jackenärmel hoch und schaute auf das selbstleuchtende Zifferblatt.
    »Zehn nach fünf. Zeit, abzuhauen.«
    Sie schlängelten sich den Steinberg hinunter. Irene blieb unten stehen und zog ihr Telefon aus der Tasche. Sie drückte drauf, ließ es dann aber schnell wieder in die Tasche rutschen. Ihr Unterbewusstsein hatte ein Geräusch wahrgenommen, aber ihr Bewusstsein registrierte es zu spät. Der Wald um sie herum explodierte in einer tausendstel Sekunde zu einem Sternenregen, um sie danach in unzugängliche Dunkelheit einzuschließen.
     
    Ihr Kopf schaukelte von einer Seite zur anderen, ohne dass sie etwas dagegen machen konnte. Kraftlos versuchte sie sich aufzurichten, um sich zu übergeben, musste aber undeutlich feststellen, dass das unmöglich war. Sie hing mit dem Kopf nach unten. Ein starker Geruch nach Leder und Schweiß stach ihr in die Nasenlöcher und verstärkte noch ihre Übelkeit. Instinktiv ließ sie sich weiterschleppen, während sie verzweifelt gegen den Schwindel anzukämpfen versuchte und sich bemühte, wieder klar im Kopf zu werden. Was war passiert? Nach einer Weile wurde ihr klar, dass sie über der Schulter eines kräftigen, ledergekleideten Mannes hing. Ein Hell’s Angel trug ihren hilflosen Körper, wie ein Schlachter ein totes Tier trägt. Seine nassen, langen Haare schlugen ihr gegen das Gesicht. Vorsichtig öffnete sie ihre Augenlider einen Spaltweit. Sie hörte Keuchen und heftige Atemzüge links von sich. Dort waren noch mindestens zwei und sie meinte sehen zu können, dass sie etwas zwischen sich trugen. Jimmy. Lebte er? Lieber Gott, lass ihn am Leben sein! Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie eine so klare, unverfälschte Todesangst verspürt. Deshalb brauchte sie gar nicht so zu tun, als wäre sie nicht in der Lage, sich zu bewegen. Sie war vollkommen paralysiert.
    Inmitten ihrer Panik vermeinte sie plötzlich eine klare Stimme zu hören. Zu ihrer Überraschung erkannte sie die Stimme ihres alten Jiu-Jitsu-Trainers, der seit fast zehn Jahren tot war. Trotz seiner vierzig Jahre in Schweden hatte er immer noch einen deutlichen amerikanischen Akzent. Mit seiner trockenen, ruhigen Stimme sagte er: »Pass auf, dass sie nicht merken, dass du wach bist. Spiele die Ohnmächtige. Sonomama. Erinnere dich an ukemi-waza. Halte den Kopf, damit du ihn dir nicht verletzt. Mokuso.«
    Mokuso? Warum sollte sie ausgerechnet jetzt meditieren, in dieser Lage? Plötzlich begriff sie. Sie musste ihren Körper verlassen, um sich von der lähmenden Angst zu befreien. Und der Körper würde eine Weile allein zurechtkommen, der sollte ja sowieso als ohnmächtig gelten. Sie schaute in ihr sich drehendes Gehirn, fand den richtigen Punkt und wurde sanft ins Yawara und Licht gesogen.
    Die eine Gesichtshälfte lag in Lehm und eiskaltem Wasser. Es blubberte aus ihrem einen Nasenloch, wenn sie atmete, aber sie drehte den Kopf nicht. Ihr Körper war in ukemi-waza gekommen und in eine nach vorn gekippte Seitenlage gefallen. Sie bemerkte, dass mehrere Personen um sie herum waren. Es erforderte eine unglaubliche Willensanstrengung, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagten, und gleichzeitig weiterhin die Bewusstlose zu spielen.
    »Verdammter Scheiß, was machen wir mit denen? Wer sind diese Arschlöcher überhaupt?«
    »SIGSauer. Und Fernglas und Telefon. Geile Sachen. Ich glaube, das sind Bullen. Verflucht, warum musstet ihr so hart zuhauen! Zumindest aus der Biene hätten wir einiges rauskriegen können.«
    »Die Jungs konnten doch nicht sehen, dass es eine Braut ist! Sie ist reichlich lang und dann hatte sie noch ’ne Käppi auf dem Schädel.«
    »Aber nun macht sie doch endlich fertig!«
    Die letzte Stimme versetzte Irene einen Schock. Ein junges Mädchen. In einem kurzen Moment der Verwirrung hatte Irene die Vision, es könnte eine ihrer eigenen Töchter sein. Aber das Trugbild verlosch

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