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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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konnte, um sie zu fragen, was damals passiert war. Sie konnte mir kein Druckmittel gegen Justin liefern, weil sie die Wahrheit mit sich in den Tod genommen hatte, als sie von der Brücke gesprungen war.

16.
    W as ist denn mit deinem Gesicht passiert, um Gottes willen?«, fragte Dan besorgt. Als ich die Haustür aufmachte und meine Tasche abstellte, zog er sich gerade seine Uniformjacke an, um zur Arbeit aufzubrechen. Ich hatte gehofft, dass er bereits weg sei und ich ihm keine Erklärungen liefern müsste. Mir fiel wieder einmal auf, dass mein Leben und sein Leben manchmal tagelang nur noch an bestimmten Koordinaten aufeinandertrafen, an der Haustür beispielsweise oder in den frühen Morgenstunden im Bett. In letzter Zeit war mir dieser Umstand sehr zupassgekommen, weil es mir so leichterfiel, mein Geheimnis zu bewahren.
    »Ich bin doch gestern beim Joggen gestolpert«, antwortete ich.
    Er kam zu mir und nahm meinen Kopf zwischen seine Hände, um die Verletzung zu begutachten. »Ich hab gestern Abend zweimal angerufen«, sagte er.
    »Ich weiß«, gab ich zu und schob seine Hand beiseite, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. »Beim ersten Anruf war ich joggen, und beim zweiten hab ich das Telefon nicht gehört, weil ich wahrscheinlich gerade unter der Dusche stand. Und dann war ich zu müde, um noch zurückzurufen.«
    »Du bist hingefallen?«, fragte er zweifelnd und beäugte immer noch den Kratzer und den Bluterguss.
    »Ja, ich bin gestolpert und beim Hinfallen an einem Ast hängengeblieben.«
    »Ich hab dir doch gesagt, dass du nicht am Fluss joggen sollst. Da ist es viel zu einsam. Was wäre gewesen, wenn du dir den Kopf irgendwo angeschlagen hättest und ohnmächtig geworden wärst? Dann hätte niemand gewusst, wo du bist, nicht einmal ich. Es hätte alles Mögliche passieren können.«
    »Ich hatte doch mein Handy mit.«
    »Wenn man ohnmächtig ist, kann man aber nicht mehr telefonieren. Schreib mir doch bitte das nächste Mal eine SMS, wenn du alleine joggen gehst, während ich Dienst habe. Es hätte dich ja auch jemand ausrauben können, oder Schlimmeres.«
    Zu spät, das »Schlimmere« ist bereits passiert , dachte ich. »Ist ja gut, lass uns ein anderes Mal darüber reden«, bat ich. »Ich bin viel zu müde, um mich zu streiten.«
    Ich wusste, dass er es nur gut meinte und sich Sorgen um mich machte, aber seine Beharrlichkeit ärgerte mich trotzdem.
    »Verdammt noch mal, Jen«, sagte er und strich vorsichtig mit den Fingern über meine Verletzung. »Die Leute werden denken, dass ich dich vermöbelt habe.«
    »Tun sie jetzt schon, aber sie sind zu höflich, um es zu sagen.«
    »Hast du Schmerzen, mein Schatz?«
    »Nein, es sieht viel schlimmer aus, als es ist.« Wenn ich dasselbe doch auch über meine anderen Probleme sagen könnte, dachte ich und schmiegte meinen Kopf an Dans frisch gewaschenes und gebügeltes Hemd. Er umarmte mich fest.
    »Ist wirklich alles in Ordnung, Jen?«
    »Natürlich.«
    »Was machst du heute Abend?«
    »Wahrscheinlich nur schlafen. Erst lesen, und dann schlafen. Was war bei dir letzte Nacht auf der Schicht los?«
    »Erst war es ruhig, aber dann haben wir den Rest der Nacht damit zugebracht, eine vermisste alte Dame aus Grangetown zu suchen. Sie war schon seit drei Tagen verschwunden. Dreiundneunzig Jahre alt und dement. Offenbar war sie nur in Nachthemd und Hausschuhen aus ihrer betreuten Wohnanlage entwischt.«
    Ich hatte von der Geschichte gehört. Die alte Dame hieß Iris Fellows. Serian hatte sich gerade mit dem Fall befasst, als ich nach Swansea aufgebrochen war.
    »In den frühen Morgenstunden haben wir sie endlich gefunden. Anscheinend ist sie hinter einer Bushaltestelle die Eisenbahnböschung hinuntergestürzt. Ihre Finger waren halb abgeknabbert – wahrscheinlich ein Fuchs oder Marder. Ihr Ehering war auch weg. Wie es aussieht, ist sie an Unterkühlung gestorben. Eine traurige Geschichte.« Er setzte sich auf die Treppe. »Vielleicht lag sie schon länger dort unten – verletzt und allein und unfähig, auf sich aufmerksam zu machen. Solche Fälle werden irgendwie nie leichter. Wir hatten den Helikopter in der Luft und Such- und Rettungstrupps im Einsatz, aber wir haben auf der falschen Seite der Bahnschneise gesucht. Wenn wir am richtigen Hang angefangen hätten zu suchen, hätten wir sie vielleicht noch rechtzeitig gefunden.«
    »So darfst du nicht denken, Liebling«, sagte ich, und mir wurde wieder einmal bewusst, wie sehr er sich solche Dinge zu Herzen nahm. Dan

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