Der Ramses-Code
den Hieroglyphen kapituliert hatte wie die Armee der gallischen Hähne vor dem englischen Löwen. Nur daß auch Englands Gelehrte die Waffen vor dem Stein streckten, paßte ihm überhaupt nicht.
Einer hatte es noch versucht, ein schwedischer Archäologe und Privatgelehrter, der als Diplomat im Orient gelebtund die Sprachen des Morgenlandes erlernt hatte, David Åkerblad. Der Mann trieb seine Studien momentan in Paris – warum eigentlich nicht in London? –, und Sacy hatte ihm die Kopie, an der er selbst gescheitert war, zukommen lassen. Åkerblad hatte sämtliche Eigennamen im demotischen Text identifiziert, zumindest behauptete er das in einem offenen Brief an Sacy, und ein Alphabet von 16 demotischen Buchstaben publiziert, die er aus den Eigennamen gewonnen zu haben glaubte. Allerdings war ein Haken an seinem Alphabet, auf den Sacy ihn im Gegenzug aufmerksam gemacht hatte: Es ließ sich nur auf die Eigennamen selbst anwenden; im restlichen Text versagte es.
Der Baron hatte den Park durchquert und den Bird-Cage-Walk erreicht, eine kleine Allee, die direkt zur Downing Street führte. Es begann zu nieseln.
Eine Entdeckung hatte Åkerblad freilich noch gemacht, die der Baron für verheißungsvoller hielt als all die Zeichenzählerei in den Schnörkeln der demotischen Kursive. Am Ende des Hieroglyphentextes, also dort, wo an paralleler Stelle in der griechischen Inschrift von Tempeln der ersten, zweiten und dritten Ordnung die Rede war, fand er einen einfachen, einen Doppel- und einen dreifachen Strich mit einem jeweils identischen Zeichen darüber. Das mußten die betreffenden Ordnungszahlen sein! Es gab also einen logischen Zugang zu den heiligen Zeichen! Aber mehr hatte auch Åkerblad nicht enträtseln können; vielmehr hatte er seine Arbeit mit dem Resümee beschlossen, er habe jede Hoffnung aufgegeben, daß die Hieroglyphen jemals entschlüsselt würden.
Sollte man tatsächlich die ägyptischen Monumente in alle Ewigkeit nur anstarren können, ohne ihre Sprache zu verstehen? Mich könnten sie ein Leben lang mit dieser Platte einsperren, dachte Ravenglass, ich würde ihr kein Wörtchen abzupressen vermögen. Na, wenigstens hat ihr bislang auch kein Franzose das Geheimnis entreißen können.
Ravenglass erreichte Downing Street und betrat, die beiden Posten grußlos passierend, das Foreign Office.
Für den Nachmittag hatte er ein Gespräch mit Lord Hawkesbury, dem Außenminister, vereinbart, ein gleichermaßen privates wie politisches Gespräch. Im Büro des Ministers waren zwei weitere Herren zugegen: Francis Whitworth, der soeben zum englischen Gesandten in Frankreich ernannt worden war und sich seine Instruktionen abgeholt hatte, sowie der alte Earl of Northumberland, eine Art Faktotum des Foreign Office, ein Mann, der schon immer hier war und seine in langen Dienstjahren gewonnenen außenpolitischen Weisheiten zum besten gab.
»Ah, Ravenglass!« begrüßte ihn Lord Hawkesbury. »Ich habe Ihre Bitte um eine Unterredung keineswegs vergessen. Würde es Sie stören, wenn die beiden Gentlemen zum Tee bleiben, oder ist Ihnen ein Vier-Augen-Gespräch lieber?«
Der Baron versicherte, was er mitzuteilen habe, könne auch ein breiteres Publikum interessieren, insbesondere den neuen Gesandten ins »Reich des Korsen«, denn dort spiele ein Teil der Geschichte, die er vortragen wolle, wobei er nicht Geschichte im epischen Sinne meine …
»Sondern im historischen?« fragte der Earl.
»Nein, eher im Sinne eines wissenschaftlichen Kriminalfalles«, entgegnete der Baron.
»Sie machen mich neugierig«, sagte Whitworth.
Hawkesbury ließ Tee kommen, die Herren nahmen Platz, und Ravenglass begann ohne Umschweife: »Gentlemen, bei dem, wofür ich um Ihre Unterstützung bitte, handelt es sich um eine nationale Aufgabe von höchster Bedeutung. Wir haben diesen dreisten Korsen aus Ägypten vertrieben, und wir haben seine Kriegsbeute beschlagnahmt, aber das gelehrte Europa hat offenbar nichts anderes zu tun, als die Taten der französischen Ägyptenkommission zu preisen. Ich sage: Schluß damit! Um die Niederlage Frankreichs komplett zu machen und nach dem militärischen auch den wissenschaftlichen Ruhm an die Fahne Seiner Majestät zu heften, müssen wir alles daransetzen, daß ein Engländer das entscheidende Rätsel löst, ein Rätsel, dessen Lösung den, dem sie gelingt, unsterblich machen und sein Vaterland noch in Jahrhunderten mit Stolz erfüllen wird …«
»Wovon, mein lieber Ravenglass«, unterbrach ihn
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