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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Konsequenzen ihres Tuns zu wecken. Bestürzung erfasste uns deshalb, als wir die »Company Hall« betraten, in der die Versammlung stattfinden sollte, denn die Mienen der ausländischen Kaufleute verrieten keinerlei Anzeichen von Reue oder auch nur des geringsten Schuldbewusstseins. Eher drückte ihre Haltung eine erhöhte Kampfbereitschaft aus; Bedauern schienen sie allein darüber zu empfinden, dass es ihnen nicht gelungen war, die Enklave energischer zu verteidigen.
    Angesichts dieser Stimmung fragten wir uns, ob Captain Elliott dort, wo die Mandarine versagt hatten, wohl Aussicht auf Erfolg habe. Würde er überhaupt erkennen, wessen sich die Fanquis schuldig gemacht hatten? Ich neigte zur Zuversicht: Da der Captain selbst kein Kaufmann war, würde er die Situation aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
    Zadig Bey war weniger optimistisch. Man müsse, meinte er, über Captain Elliott vor allem eines wissen: Er sei ein pucka Sahib, die Kolonien seien für ihn wie das Wasser für den Fisch, sein Element, die Luft zum Atmen, sein Leben. Sein Vater sei Gouverneur von Madras gewesen, sein Onkel Generalgouverneur von Indien, und er habe viele Jahre in der britischen Marine gedient. Weder seine Herkunft noch sein Werdegang prädestinierten ihn dazu, gegen die Interessen von seinesgleichen zu handeln.
    »Und was für ein Mensch ist er?«, fragte ich, worauf Zadig Bey antwortete: »Alles, was Sie über ihn wissen müssen, sehen Sie, wenn er vor Sie hintritt und das Wort ergreift.«
    Und so war es.
    Captain Elliott erschien in Galauniform, einen Säbel an der Seite – mit Bedacht, denke ich, denn seine Erscheinung war so beeindruckend, dass das Stimmengewirr im Saal sogleich erstarb. Diese Wirkung war jedoch eher seiner Ausstaffierung als dem Mann selbst zuzuschreiben, denn sogar ich mit meinem Gespür für solche Dinge gerate in Verlegenheit, wenn ich mir sein Gesicht ins Gedächtnis zurückzurufen versuche (wohingegen ich mich an Farbe und Schnitt seiner Kleidung sehr genau erinnere).
    Captain Elliott ist so pucka, so sehr soldatischer Sahib, dass sein Gesicht zu einem Bestandteil seiner Uniform geworden ist: Es scheint nicht einem einzelnen Mann zu gehören, sondern einer ganzen Abteilung Männer, alle in Blau, mit kurz geschorenem Haar und gepflegtem Schnurrbart. Auch seine Stimme klang, als käme sie von der Luvseite des Achterdecks auf einem Schiff: gelassen und Respekt einflößend, eine Stimme, von der man erwarten würde, dass sie zur Vernunft mahnt. Und das tat sie auch: Die Mandarine müssten vernünftig sein, sagte er, und davon Abstand nehmen, Menschen auf dem Maidan zu erdrosseln, aber auch die britischen Kaufleute müssten vernünftig sein und davon Abstand nehmen, ungeniert Opium mit ihren eigenen Booten nach Kanton zu schmuggeln. Diese Handlungsweise bringe das Empire in Misskredit, und die britische Regierung habe sie scharf verurteilt. Er sei entschlossen, sie zu unterbinden, und werde diesbezüglich sogar den chinesischen Behörden seine Zusammenarbeit anbieten usw. usw.
    Mit anderen Worten: Die Bedenken des Captains richteten sich dagegen, dass es britische Boote waren, die mit der Schmuggelware den Perlfluss hinaufgeschickt wurden. Den umfassenderen Aspekt – die vielen Opiumschiffe, die bei den äußeren Inseln ankerten, sowie die Einfuhr des Rauschgifts von Indien nach China generell – erwähnte Elliott mit keinem Wort. Wie auch, da ja Herstellung und Verkauf des Opiums vom Empire, dessen Repräsentant er ist, gefördert und unterstützt werden?
    Ich muss gestehen, ich verließ die Company Hall mit zutiefst beklommenem Herzen. Auch Zadig Bey schien nicht beruhigt. Nach seiner Überzeugung haben sowohl Captain Elliott als auch die Mandarine die Situation nicht mehr unter Kontrolle. Die ausländischen Kaufleute duldeten keine Einmischung, sagte er, weder durch die Chinesen noch durch den britischen Bevollmächtigten; aus der Doktrin des Freihandels leiteten sie das Recht ab, zu tun, was immer ihnen beliebe. Und in der Einwohnerschaft Kantons wachse der Unmut darüber, dass die Ausländer ungestraft gegen das Gesetz verstießen. Wäre nicht die Polizei gekommen, meint Zadig Bey, wären mit Sicherheit die Faktoreien in Brand gesteckt und die Fanquis aus der Stadt vertrieben worden.
    Ich glaubte zu dem Zeitpunkt, Zadig Bey übertreibe ein wenig, aber kurze Zeit später stellte ich fest, dass er mit seiner Einschätzung der Stimmung unter den Stadtbewohnern genau richtig lag – und wenn Du

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