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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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Harcourt Gallery.
    Es war ein trostloser Tag, bitterkalt, regnerisch und windig, und das alles passte ausgezeichnet zu Riordans niedergeschlagener Stimmung. Er ignorierte den Stapel Papiere und die Post auf seinem Schreibtisch und ließ sich in seinen Sessel fallen. Dann holte er eine halb volle Flasche Rum aus dem obersten Fach des Schreibtisches und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er sich umwandte und nachdenklich zusah, wie der Regen in wahren Sturzbächen an der Fensterscheibe hinunterlief.
    Als Kelvin ein paar Minuten später hereinkam, schien das Riordan in seiner Versunkenheit kaum zu stören. »Wir haben gerade die ›Cherubs auf dem Eis‹ verkauft«, teilte ihm der Geschäftsführer mit. Damit war ein ausgezeichnetes Gemälde von Stuart MacDowel gemeint, und Kelvin glühte vor Stolz. Doch in seine Freude mischten sich sogleich Enttäuschung und Sorge, als er bemerkte, in welchem Zustand sich sein Arbeitgeber befand. Es schien jeden Tag schlimmer zu werden.
    »Wer hat das Bild gekauft?«, erkundigte sich Riordan, nur mäßig interessiert.
    Noch ein paar Monate zuvor hätte er sicher vorgeschlagen, den Verkauf bei einem guten Essen und einem seiner Lieblingsweine aus seinem eigenen Keller zu feiern. Doch jetzt schien er sich kaum zu irgendeiner Reaktion bewegen zu können.
    »Ronald Cavan hat es für Lord Richard Grantland von Sussex in England gekauft. Er hat nicht einmal versucht zu handeln!« Kelvin beobachtete Riordan genau, doch wieder kam kaum eine Reaktion. »Der Verkauf mit so viel Gewinn bedeutet, dass wir in diesem Monat unsere Pforten noch nicht werden schließen müssen«, fuhr Kelvin fort. Er verzweifelte langsam an Riordans Gleichgültigkeit in Bezug auf ihre finanziell äußerst missliche Lage, die alle Sorge allein dem Geschäftsführer aufbürdete.
    Trotz seiner Abwesendheit bemerkte Riordan die Bitterkeit in Kelvins Ton und begriff, dass er sich auch um seine Stellung sorgte.
    »Falls nötig, Kelvin, werde ich die Galerie mit meinem eigenen Kapital unterstützen«, meinte er ruhig. »Sie können ganz beruhigt sein – so schnell werden Sie sich nicht in die Schlange der Arbeitslosen einreihen müssen!«
    Kelvin hörte deutlich die Ironie in seinem Ton und fühlte eine Mischung aus Kummer und Verzweiflung in sich aufsteigen. Wie lange sollte das noch so weitergehen?
    Die Galerie hatte schon einige Monate lang Verluste gemacht, eine Tatsache, die Riordan in seinem augenblicklichen Geisteszustand noch nicht recht wahrgenommen hatte. Schon seit einiger Zeit hatte Kelvin heimlich die Post, besonders die Briefe von der Bank, durchgeschaut und war besser über die finanzielle Situation der Galerie informiert als Riordan. Doch er konnte nichts sagen, ohne zuzugeben, dass er unerlaubt die Post geöffnet hatte. Der Rückgang der Verkäufe hatte zur Folge, dass Riordans privates Vermögen ebenfalls dahinschwand, auch wenn er selber allem Anschein nach der Meinung war, es sei unerschöpflich. WasKelvin aber wirklich zornig machte war die Tatsache, dass Riordan nichts von den Opfern wusste, die er persönlich schon gebracht hatte, um die Galerie, Riordans guten Ruf und seine eigene Stellung zu retten. Sein Einsatz in dieser Hinsicht war viel größer, als Riordan es jemals auch nur ahnen konnte.
    Ronald Cavan verfügte über beste Kontakte in der irischen Geschäftswelt. Er hatte für die einflussreicheren unter den englischen und irischen Adligen als ›Vermittler‹ gearbeitet, doch obwohl für seine Arbeit sehr geschätzt, erfuhr er auch Ablehnung durch diejenigen, die in seinem Verhalten etwas ›Unnormales‹ entdeckt zu haben glaubten. Andere wiederum hatten sich bereitwillig an ihn gewandt und ihn gebeten, in aller Diskretion einem speziellen Kreis von Bekannten, die man nur als exzentrisch bezeichnen konnte, Sexpartner zu vermitteln. An Kelvin hatte Ronald Cavan Wesenszüge entdeckt, die ihn zum perfekten Opfer machten: Habgier, ein starkes sexuelles Verlangen und dazu eine höchst ungesunde Portion Ehrgeiz. Als Gegenleistung für Kelvins ›Kooperation‹ hatte Cavan diesem angeboten, der Galerie vermögende Kunden zuzuführen.
    Schon seit einigen Wochen nahm Kelvin an geheimen Treffen teil, die Cavan arrangiert hatte, und als er jetzt Riordans finstere Miene ansah und wie er sich in Selbstmitleid erging, stieg heißer Zorn in ihm auf. Riordan hatte ja keine Ahnung davon, wie pervers die so genannte Elite sein konnte, noch wusste er etwas von den abscheulichen Dingen, die man Kelvin zu tun

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