Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Seite rauf bis zu dem Kamm da drüben, wo du die Häuser siehst. Aber halt dich rechts. Die Grenze verläuft zwischen den Häusern. Wenn du zu weit nach links gerätst, bist du immer noch in Jordanien.«
Verdammter Talibi, dachte ich. Ich hielt das Fernglas an die Augen und konzentrierte mich auf die eng beieinanderstehenden Kalksteinhäuser auf dem Kamm gegenüber, einen Ort namens Abu Tor. Die Häuser sahen alle gleich aus, obwohl Rochelle
mir erklärt hatte, dass einige auf der israelischen Seite standen, einige auf der jordanischen. Die Grenze war fast unsichtbar. Ich konnte den Stacheldrahtzaun kaum erkennen, der quer über die Straße ging und sie in der Mitte teilte.
»Und wir können nicht einfach in den jordanischen Teil von Abu Tor gehen?«, fragte ich. »Und uns von dort auf die israelische Seite schleichen?«
»Zu gefährlich. Zu viele Wachen. Besser, man geht durchs Tal.«
Das Tal war auch nicht gerade sicher. Rochelle hatte mich vor den Landminen gewarnt, die 1948 während Israels Unabhängigkeitskrieges dort verlegt und nie entfernt worden waren. Ich wandte das Fernglas dem dunklen Schatten des Tals zu, suchte nach Hinweisen auf diese Minen. Aber natürlich kann man eine Landmine nicht sehen. Das ist ja der Sinn der Sache.
»Hadassah«, sagte Dr. Said Talibi vor drei Wochen, nachdem er mein Baby untersucht hatte. Er sprach das Wort weich und einfühlsam aus, mit einem merkwürdigen arabischen Tonfall, bei dem die zweite Silbe in einem langen Zischen endete. In seinem weißen Kittel war er an seinen Schreibtisch geeilt und hatte angefangen, etwas aufzuschreiben. Rochelle und ich saßen ihm gegenüber und hielten uns bei den Händen. »Hadassah«, sagte er noch einmal.
»Was meinen Sie mit ›Hadassah‹?«, fragte ich.
Ich hätte ebenso gut gar nichts sagen können. Ein starres, engelhaftes Lächeln leuchtete auf seinem pausbäckigen Gesicht. Seitenweise schrieb er das Büropapier mit langen Absätzen in Englisch voll, die auf dem Kopf zu lesen ich bald aufgab. Als er fertig war, faltete er die Blätter, versiegelte sie in einem unbeschrifteten Umschlag und reichte ihn Rochelle.
Jameela, die Bäuerin aus Galiläa, mit ihren vergoldeten Zähnen
und ihrem schwarzen, bestickten Kleid, saß derweil auf einem Stuhl an der gegenüberliegenden Wand. Sie lächelte und sang dem Kind auf ihrem Schoß leise etwas vor – einem Baby mit Katzengesicht und übergroßen schwarzen, schräg stehenden Augen. Und winzig kleiner Lunge, die lautstark darum rang, Sauerstoff aus unserer unbarmherzigen Luft zu saugen.
Der Rand der Sonne berührte den Horizont. Ihre letzten Strahlen fielen durch die Mosaikfenster der Kirche. Rochelle und ich flüsterten, obwohl niemand in der Nähe war. Die Akustik an diesem Ort war ungewöhnlich. Hin und wieder hörten wir aus dem Nichts plötzlich Gesprächsfetzen oder den Singsang einer Reiseleiterin. »… diese Kirche, erbaut 1931 an der Stelle, an der Petrus unseren Herrn verleugnet hat, an jenem Abend, als man ihn vor den Hohen Rat brachte …« Dann verklang die Stimme, und wir sahen uns um. Manchmal konnten wir ausmachen, wer gesprochen hatte. Manchmal auch nicht.
»Ich wünschte, wir könnten einfach am Mandelbaumtor rübergehen wie alle anderen auch.«
»Das wäre schön«, sagte sie und streichelte liebevoll meinen Arm. »Aber das könnt ihr nicht. Ihr seid nicht wie die anderen. Andere Leute haben Papiere, zumindest einen Pass. Ihr nicht.«
»Und ich schätze, wir wollen auch nicht, dass sich irgendjemand die Kleine allzu genau ansieht.«
»Nein, das wollen wir nicht. Bei dem Versuch, sie durch das Tor zu schleusen, wird mit Sicherheit irgendwer merken, dass sie nicht von dieser Welt ist. Wenn nicht die Jordanier, dann die Israelis. Und schon würden die Verhöre losgehen. Glaub mir, das wäre schlimm. Damit wäre außerdem alles umsonst gewesen.«
Ein Priester – stämmig, bärtig, in brauner Kutte – blieb
mit seiner Gruppe keine zehn Meter entfernt stehen. Manche hielten Rosenkränze und Kruzifixe in den Händen, während er ihnen aus dem Neuen Testament vorlas. »Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich um und sah Petrus an. Und Petrus gedachte des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.«
»Glaubst du wirklich, dass man sie da drüben retten kann?«, fragte ich, als die Gruppe gegangen war.
»Ich bin
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