Der transparente Mann (German Edition)
hörte, der die Wohnungstür hinter sich schloss und den Schlüssel zweimal umdrehte. Sie war noch nicht ganz bei sich. Fragmente von geträumten Schreckensbildern von Rom, Konstantin und anderen Frauen geisterten noch in ihrem Kopf herum, doch irgendetwas sagte ihr, dass etwas Aufregendes passiert war, und so rief sie vom Bett aus: »Alf! Du musst unbedingt noch zu mir kommen!«
»Hab ich dich aufgeweckt?«, klang es von draußen.
»Nicht wirklich. Ich wollte eigentlich auf dich warten.«
Er kam in den Raum und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Leicht besorgt blickte er sie an. Sie lag voll angezogen in Jeans und Shirt auf ihrem Bambusbett, machte aber einen ziemlich verschlafenen Eindruck. Er strich ihr das verschwitzte Haar aus dem Gesicht. »Sorry.«
»Nein, nein«, winkte Joe ab. »Es ist wunderbar. Ich muss dir unbedingt etwas zeigen. Du glaubst es nicht!«
Sein Blick fiel auf den Laptop, der halb über und halb unter der Decke vergraben lag. Ein Glück, dass er nicht heruntergefallen war! Alf wollte ihn hervorziehen, aber Joe hielt ihn davon ab, denn jetzt war sie wach genug, um sich wieder haarklein an die Ereignisse der letzten Stunden zu erinnern.
»Es haben über dreihundert Frauen geschrieben«, platzte sie heraus. Dabei leuchteten ihre Augen, und sie richtete sich auf.
»Träum weiter.« Alf grinste.
»Das ist kein Witz! Ich konnte es erst auch nicht glauben. Diese Monika Treschniewski, die Journalistin, hat einen Artikel über meine Webpage veröffentlicht. Deshalb.« Hellwach und aufgeregt klappte sie jetzt den Laptop auf, stellte die Verbindung ins Internet wieder her und rief die Webpage auf. Wieder waren acht weitere Männer entlarvt.
Alf starrte auf den Bildschirm. Er kniff die Augen zusammen, seine Mundwinkel zuckten, und er brachte minutenlang kein Wort heraus, während Joe ihn stolz anlächelte. »Und was willst du jetzt tun?«, fragte er besorgt. Es sah ganz so aus, als hätte er seine Meinung trotz dieser gewaltigen Resonanz nicht geändert.
»Na ja.« Joe zog die Stirn kraus, dachte nach und lächelte dann breit.
»Am besten werde ich die Namen alphabetisch ordnen. Sonst findet sich ja keiner mehr auf der Seite zurecht.«
»Joe, lass das!«
»Du siehst doch, dass ich Recht hatte.«
»Darum geht es nicht. Hast du überhaupt schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn jemand herausfindet, dass du hinter dieser Webpage steckst?«
»Und wenn schon! Die Frauen werden mir dazu gratulieren.«
Alf setzte zu einer Erwiderung an, schluckte sie aber herunter, stand mit unergründlichem Gesichtsausdruck auf und schickte sich an, ihr Zimmer zu verlassen. Joe blickte ihm fragend nach. Sie wollte nicht, dass er jetzt ging, so ernst und nachdenklich. Kurz vor der Zimmertür drehte er sich nochmals um und lächelte ihr kurz zu.
»Na klasse«, meinte er trocken, »wenn du jetzt wirklich alle Männer outen willst, stürzen mit Sicherheit sämtliche Computer ab!«
Joe hörte noch, wie er in sein Zimmer ging und die Tür schloss. Mit einem Lächeln schaltete Joe den Laptop aus. Sie schlüpfte in den Pyjama und hoffte, im Traum nicht wieder nach Rom zu reisen. Sie hatte keine Lust mehr, von Konstantin zu träumen.
Sieben
Vor lauter Aufregung über die große Resonanz war Joe bereits um halb sechs wieder hellwach. Draußen war es noch dunkel, aber trotzdem fühlte sie sich erfrischt wie nach ein paar Urlaubstagen in einem Wellness-Hotel. Voller Tatendrang schaltete sie ihren Laptop ein und checkte noch vom Bett aus die Neueingänge. Na bitte! In den wenigen Stunden seit ihrem letzten Blick auf ihre Webpage waren fünfzehn Mails hinzugekommen. Alf handelt einfach immer viel zu defensiv, schoss es Joe durch den Kopf, während sie sich in Hochstimmung anzog und ohne Frühstück und auf Zehenspitzen die Wohnung verließ, um ihn keinesfalls zu wecken. An diesem siegreichen Morgen hatte Joe keine Lust auf Kritik. Für ihren Geschmack hatte Alf viel zu viel Verständnis für alle und jeden, was sicher an seiner besonderen Fähigkeit lag, sich sofort in andere Menschen hineinversetzen zu können, sie zu verstehen und selbst im schlechtesten noch etwas Gutes zu finden. Das war ja so weit ein schöner Zug, aber Joe besaß nicht diese Bereitschaft, dem Gegner auch noch die andere Wange hinzuhalten. Für alles gab es eine Grenze, und dann galt es, sich zu wehren. Mit der Zeit würde Alf einsehen müssen, dass sie mit ihrer Webpage zu einer besseren Welt beitrug. Denn künftig würde sich »Mann«
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