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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Frau gegangen. Etwas hatte ihn zu ihr hingezogen, das er nicht näher beschreiben konnte, eine Art Geheimnis, das sie umgab wie ein Licht. Nachdem er in sie eingedrungen war, entdeckte er dieses Geheimnis. In ihrem Herzschlag nahm er einen zweiten, sehr schnellen wahr – ein Leben innerhalb eines Lebens, wie eine eingeschlossene Perle. Das war ihm auch früher schon aufgefallen, wenn er in andere Frauen eindrang, und stets hatte er das Tabu geachtet. Er hatte niemals ein ungeborenes Leben angerührt. Aber diesmal hatte er sich gedankenlos und mit einem Seufzer einfach hineinsinken lassen.
    Zu seiner Überraschung wurde er von einer ruhigen Dunkelheit aufgenommen. Und dann gab es nichts mehr.
    Viele Jahre lang.
    Vor der kleinen dunklen Kammer in Tajbel pochten die Bestien weiterhin an die Tür, aber Esmé schien sie vollkommen vergessen zu haben. Sie starrte auf ihre Hände, drehte sie um und bewegte die Finger langsam wie Ranken einer Wasserpflanze. Besorgt blickte sie Mihai an. »Ich glaube, das sind nicht meine Hände«, flüsterte sie ihm zu und holte stockend Luft, ehe sie die Hände hob und ihm zeigte.
    Und als er sie anschaute, begann die braune Iris von Esmés rechtem Auge zu schimmern und zu verblassen und glitzerte in der Dunkelheit so hellblau wie das andere. Mihai atmete tief durch und bemerkte, dass seine Hände zitterten. »Meine Königin«, sagte er und starrte Esmé an. Seine Stimme war gefühlsbeladen. »Ich habe auf dich gewartet.«
    Esmé blinzelte langsam mit beiden, nun gleichermaßen blauen Augen und erwiderte den Blick. »Mihai …«, schnurrte sie mit dieser Stimme, die ihr nicht gehörte. Dann stockte ihr der Atem, als sie die Königin auf dem Thron hinter ihm entdeckte. Sie starrte die Gestalt an, betrachtete ihre Hände und wieder die Königin. »Was hast du mit mir gemacht?«, fragte sie.
    Mit bebender Stimme erklärte er: »Vor vierzehn Jahren habe ich dir gesagt, du würdest alles verstehen, und so wird es auch sein. Es gibt Geheimnisse, Sraeshta, bezüglich der Druj, so viele Dinge, die wir vergessen haben. Wir waren nicht immer so, meine Königin.« Er hielt inne und ergriff Esmés Hand. »Inzwischen erinnere ich mich. Einst, vor langer, langer Zeit, waren wir Menschen .«

– ZWÖLF –
Ausgebrütet
    M enschen. Das war vor langer Zeit, in den Jahren, welche die Menschen heute von der Geburt des Nazareners rückwärts zählen. Damals war Mihai noch kein Dämon gewesen; er war nicht immer einer gewesen. In jener Zeit hatte es einen Anfang gegeben. Mihai war als Mensch geboren worden.
    Er wusste das nur, weil er 1564 für eine kurze Weile wieder zum Menschen geworden war.
    Er war ein Junge in Srinagar, der Boote durch die seichten Stellen des Dal-Sees stakte und der besser als alle anderen Jungen Steine flitschen konnte. Er arbeitete in den Obsthainen und zog an Seilen, die an die Wipfel der Bäume gebunden waren, um gefräßige Vögel zu vertreiben, die dem Prinzen die Kirschen stehlen wollten. Wenn er richtig zog und rasch losließ, konnte er auf diese Weise eine diebische Krähe in den Himmel werfen wie einen Stein mit einer Schleuder. Er war der Meister der kreisenden Vogelschatten, der kleine braune Radscha des Obstgartens. Er hieß Yazad und betete zu einem Gott mit Elefantenkopf und aß Brot mit Mohn und Sesam. Die Sonne wärmte seine Haut, der Wind zerzauste ihm das Haar, und die Seele in seinem Inneren fühlte sich so wirklich an wie sein Herzschlag.
    Er kannte nichts anderes, als Yazad zu sein. Bis zu dem Tag, an dem sein Auge blau wurde, erinnerte er sich nicht mehr daran, was er einmal gewesen war, doch dieser Anblick rief alles zurück, nicht auf einmal, sondern in immer rascher aufeinanderfolgenden Wellen. Die Erinnerungen stürmten auf ihn ein wie hässliche Motten. Er wurde von ihnen belagert, und nachdem er tagelang auf schrecklichste Weise mit dem Wahnsinn und den Priestern gerungen hatte, wurde sein Animus hinaus in die Luft gedrängt, und sein kurzes Leben als Mensch fand ein Ende.
    Er erinnerte sich an den Schrecken, sich plötzlich enthäutet zu fühlen, aus Yazads Seele gerissen zu sein und von oben auf den Jungen zu schauen, für den er sich selbst gehalten hatte. Auf diesem vertrauten Gesicht entdeckte er Schmerz, und er versuchte sich mit dem Gedanken abzufinden, dass er nicht Yazad war, sondern ein anderes Wesen, das wie ein Parasit in dem Jungen gewachsen war.
    Voller Verbitterung erkannte er sich wieder: Mihai, Druj, Naxturu. Dämon .
    Er war nur ein

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