Der verletzte Mensch (German Edition)
Menschen gebrochene Menschen werden.
Auch der amerikanische Psychologe Norman Garmezy wollte wissen, welche Lebenschancen Kinder, die in großer Armut sowie mit kranken und alkoholabhängigen Eltern in den Slums von Minneapolis aufwuchsen, hatten. Dabei stieß er immer wieder auf Kinder, die trotz mehrerer Risikofaktoren scheinbar unverwundbar durchs Leben gingen. Garmezy entdeckte in seiner Untersuchung, dass diese „unverwundbaren“ Kinder durch die Schwierigkeiten sogar angespornt wurden. Weiters verfügten viele von ihnen über die Fähigkeit, das Negative ihrer Umgebung auszublenden und dafür die Unterstützung von bewunderten Menschen außerhalb ihrer Familie zu finden.
Er und viele andere Forscherkollegen fanden heraus, dass Menschen, die sich auch einer Vielzahl von Handicaps und Risikofaktoren widersetzen konnten, keineswegs mit einer unsichtbaren Schutzschicht umhüllt waren. Auch sie konnten verletzt werden – aber sie ließen sich nie besiegen. Menschen verfügen durchaus über die Fähigkeit, schreckliche Ereignisse wegzustecken. Die Kraft der Verdrängung hat auch tatsächlich viel Positives und ist nicht automatisch etwas Krankmachendes, wie das viele Psychoanalytiker vertreten. Oft ist es nicht hilfreich, Opfer ihre Traumata nochmals durchleiden zu lassen, wichtiger ist, ihnen dabei zu helfen, den Alltag möglichst schnell wieder bewältigen zu können. Wir sind eben nicht nur Gefangene unserer Vergangenheit.
Richard Tedeschi, Professor für Psychologie an der University of North Carolina: „Niemand, der Schreckliches durchgemacht hat, behauptet, dass es toll gewesen sei. Und während der Krise hat auch niemand einen Gedanken daran verschwendet, dass man durch die Erfahrung wachsen könnte. Jeder hat einfach nur versucht, zu überleben. Aber im Rückblick haben diese Menschen mehr gewonnen, als sie jemals erwartet hatten.“ [9]
Emotionale Widerstandsfähigkeit hat aber unbestritten auch einen hohen angeborenen Faktor. Um beim Schilfbeispiel zu bleiben: Es gibt einfach Halme, die von Natur aus stärker sind als andere und daher heftigeren Stürmen eher standhalten.
Die Veranlagung zum Glück – optimistische Nonnen leben länger
Klosterschwestern eignen sich bestens für langfristige Lebenszufriedenheitsstudien. Der Amerikaner Martin Seligman, Professor für Psychologie an der University of Pennsylvania, hat die geistlichen Schwestern deswegen ausgesucht, weil deren äußeren Lebensumstände bis hin zur gesunden Lebensführung weitgehend unabhängig von persönlichen Schicksalen waren. Das machte sie gut vergleichbar. Das überraschende Ergebnis: Jene Schwestern, die beim Eintritt ins Kloster die positivste Lebenseinstellung hatten und sich subjektiv als glücklich einschätzten, waren im Alter von 85 Jahren noch zu 90 Prozent am Leben; von jenen, die mit einer pessimistischen Lebenshaltung eintraten, hingegen lediglich noch 34 Prozent. Dem Glücklichsten schlägt zumindest weitaus später die Stunde. Es ist also sowohl wegen der messbaren äußeren Faktoren wie Gesundheit und Lebenserwartung extrem wichtig, das Potenzial an positiven Emotionen abrufen zu können, als auch aus den subjektiven Gründen einer glücklichen Lebensgestaltung. Auf diese Glücksfähigkeit können Menschen auf vielfältige Weise Einfluss nehmen, wie die moderne Glücksforschung zeigt, sie ist aber auch zu einem bestimmten Ausmaß genetisch vorgegeben. Es gibt noch zu wenige Forschungen, die diesen Zusammenhang zwischen psychischer Widerstandsfähigkeit, Glücksfähigkeit und genetischer Veranlagung untersuchen. Umso wichtiger ist daher der neue Forschungszweig Positive Psychologie, der erst seit wenigen Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Die Abschaffung der Erbsünde – eine Einführung in die Positive Psychologie
DSM 4 ist wieder so ein Wort, das sich bestens für eine von Dan Browns kryptologischen Verschwörungen eignen würde. DSM 4 steht für Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders und ist die Bibel der Klinischen Psychologie in den USA. Auch in Deutschland wird dieses Klassifikationssystem unter dem Begriff „Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen“ eingesetzt. Wenn Sie also zu einem Psychiater gehen und ihm über Ihre Probleme erzählen, wird er Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in dieses System einordnen. Alle möglichen menschlichen psychischen Fehlentwicklungen von Schizophrenie über paranoide Persönlichkeitsstörungen bis zum Borderline-Syndrom sind in
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