Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
Vom Netzwerk:
sprechen. Angesichts
    der Dringlichkeit seiner Bitte schlage er ihm jedoch vor, sich ge-
    gen Mittag in der Greek Street einzufinden, wo Mr. Bazalgettes
    Stellvertreter, Mr. Lovick, ihn zu einer kurzen Unterredung
    empfangen würde.
    Eine fieberhafte Unruhe packte Rose. Er wühlte in seinen Un-
    terlagen, die durcheinander wirbelten, als wäre ein Luftzug in sie
    gefahren, raffte die Papiere zusammen, die er von der Polizei er-
    halten hatte, und das Blatt mit dem hastig aus der Erinnerung
    niedergekritzelten Wortlaut von Englands Brief, an den er sich
    sofort nach seiner Rückkehr aus dem Kaffeehaus letzte Nacht ge-
    macht hatte. Doch es war ein mageres Bündel, nicht mehr als ein
    paar Seiten dick. Und was den Hund betraf – er war immer noch
    ratlos, was er da unternehmen sollte. Zum Frühstücken blieb ihm
    jetzt keine Zeit mehr. Rose überlegte, ob er eine Droschke nach
    Soho nehmen sollte, doch bei Westminster waren die Straßen
    aufgegraben, und in den engen Gassen herrschte dichter Verkehr.
    Völlig außer Atem kam er in der Baubehörde an, sein strohblon-
    des Haar ganz und gar zerzaust. Der Schreiber, der seinen Namen
    notierte, hob die Brauen und starrte ihn durch eine Brille an, die

    367
    seinen Augen den harten Glanz glatt geschliffener Kieselsteine
    verlieh. Als er allein war, leckte sich Rose rasch über den Hand-
    teller und fuhr sich über den Kopf. Der harte Stuhl, den man ihm
    angeboten hatte, war niedrig und unbequem. Rose setzte sich auf
    die Kante, die Aktentasche an die Brust gedrückt. An den Wän-
    den ringsum hingen Zeichnungen von Gebäuden, die aussahen
    wie Kirchen oder Paläste mit hoch aufragenden Türmen und
    Kuppeln und einem prachtvollen Dekor, das selbst eine byzanti-
    nische Moschee in den Schatten stellte. Abbildungen von Abwas-
    serkanälen suchte er vergebens, aber wer wollte schon Abwasser-
    kanäle betrachten? Die Paläste dagegen waren eine Augenweide.
    Der Architekt hatte ringsum Bäume ins Bild gesetzt, und im Vor-
    dergrund waren Menschen. Eine Frau in einem weißen Kleid
    ging auf einem Weg spazieren, einen Sonnenschirm
    in der zier-
    lichen Hand.
    Der Schreiber räusperte sich. »Kommen Sie bitte, Sir.«
    Rose wurde flau im Magen, während er dem Schreiber eine
    schmale Treppe hinauf und dann durch einen Korridor folgte.
    Vor einer geschlossenen Tür blieben si
    e stehen. Der Schreiber
    klopfte und öffnete sie einen Spalt.
    »Ein Mr. Rose möchte Sie sprechen, Sir.«
    »Ah. Führen Sie ihn herein.«
    Der kleine Raum wurde von einem riesigen Mahagoni-
    schreibtisch beherrscht. Wie ein Schiff in einer Flasche, dachte
    Rose und drehte sich verwirrt um, weil er sich nicht erklären
    konnte, wie dieses Monstrum durch die Tür gepasst hatte. Hin-
    ter dem Schreibtisch saß Mr. Lovick, stirnrunzelnd in Akten ver-
    tieft. Ohne hochzusehen, winkte er dem Schreiber, er könne ge-
    hen. Rose blieb verlegen stehen und studierte Lovicks Profil. Ein
    dunkelhaariger Mann mit einem dicken schwarzen Backenbart
    ohne die geringste Spur von Grau. Sein Gesicht wirkte streng,
    mit den scharfen Ecken und Kanten wie gefaltet. Rose schluckte.

    368
    »Mr. Rose.« Endlich sah Lovick hoch, eine tiefe Falte zwischen
    den buschigen Augenbrauen. Er bot Rose keinen Platz an. Rose
    rang die auf dem Rücken verschränkten Hände. »Wie kann ich
    Ihnen helfen?«
    »Als Erstes, Mr. Lovick, möchte ich Ihnen danken, dass Sie
    mich empfangen. Ich weiß, Sie sind ein viel beschäftigter
    Mann.«
    Lovick verzog die blutleeren Lippen zu einem Lächeln. »Ah,
    freundliche Worte, nur leider an den Falschen gerichtet. Mr. Lo-
    vick wurde zu einer dringenden Angelegenheit gerufen und ist
    den ganzen heutigen und leider wohl auch den morgigen Tag
    nicht hier. Ich habe dem Schreiber vorgeschlagen, Sie zu mir zu
    schicken. ielleicht
    V
    kann ich Ihnen helfen.« Er neigte den Kopf
    und studierte Roses Miene. »Mein Name ist Hawke.«
    Rose riss die Augen auf, sein Adamsapfel kratzte unangenehm
    an seinem Kragen.
    »Aber ...«
    »Sie sind Mr. Mays Anwalt, nicht?« Hawke schüttelte bedau-
    ernd den Kopf, ileß Rose aber nicht aus den Augen. Nervös
    stellte Rose fest, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg.
    »Verzeihen Sie, Mr. Hawke, aber ich glaube, es wäre ange-
    bracht, wenn ich ...«
    Hawke überhörte die Bemerkung. »Es ist kaum der Mühe
    wert, ein
    en Anwalt einzuschalten«, sagte
    er stattdessen. »In An-
    betracht der Umstände.«
    »Welche Umstände könnten das denn sein, Mr. Hawke?«,
    fragte Rose

Weitere Kostenlose Bücher