Der Vermesser
sprechen. Angesichts
der Dringlichkeit seiner Bitte schlage er ihm jedoch vor, sich ge-
gen Mittag in der Greek Street einzufinden, wo Mr. Bazalgettes
Stellvertreter, Mr. Lovick, ihn zu einer kurzen Unterredung
empfangen würde.
Eine fieberhafte Unruhe packte Rose. Er wühlte in seinen Un-
terlagen, die durcheinander wirbelten, als wäre ein Luftzug in sie
gefahren, raffte die Papiere zusammen, die er von der Polizei er-
halten hatte, und das Blatt mit dem hastig aus der Erinnerung
niedergekritzelten Wortlaut von Englands Brief, an den er sich
sofort nach seiner Rückkehr aus dem Kaffeehaus letzte Nacht ge-
macht hatte. Doch es war ein mageres Bündel, nicht mehr als ein
paar Seiten dick. Und was den Hund betraf – er war immer noch
ratlos, was er da unternehmen sollte. Zum Frühstücken blieb ihm
jetzt keine Zeit mehr. Rose überlegte, ob er eine Droschke nach
Soho nehmen sollte, doch bei Westminster waren die Straßen
aufgegraben, und in den engen Gassen herrschte dichter Verkehr.
Völlig außer Atem kam er in der Baubehörde an, sein strohblon-
des Haar ganz und gar zerzaust. Der Schreiber, der seinen Namen
notierte, hob die Brauen und starrte ihn durch eine Brille an, die
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seinen Augen den harten Glanz glatt geschliffener Kieselsteine
verlieh. Als er allein war, leckte sich Rose rasch über den Hand-
teller und fuhr sich über den Kopf. Der harte Stuhl, den man ihm
angeboten hatte, war niedrig und unbequem. Rose setzte sich auf
die Kante, die Aktentasche an die Brust gedrückt. An den Wän-
den ringsum hingen Zeichnungen von Gebäuden, die aussahen
wie Kirchen oder Paläste mit hoch aufragenden Türmen und
Kuppeln und einem prachtvollen Dekor, das selbst eine byzanti-
nische Moschee in den Schatten stellte. Abbildungen von Abwas-
serkanälen suchte er vergebens, aber wer wollte schon Abwasser-
kanäle betrachten? Die Paläste dagegen waren eine Augenweide.
Der Architekt hatte ringsum Bäume ins Bild gesetzt, und im Vor-
dergrund waren Menschen. Eine Frau in einem weißen Kleid
ging auf einem Weg spazieren, einen Sonnenschirm
in der zier-
lichen Hand.
Der Schreiber räusperte sich. »Kommen Sie bitte, Sir.«
Rose wurde flau im Magen, während er dem Schreiber eine
schmale Treppe hinauf und dann durch einen Korridor folgte.
Vor einer geschlossenen Tür blieben si
e stehen. Der Schreiber
klopfte und öffnete sie einen Spalt.
»Ein Mr. Rose möchte Sie sprechen, Sir.«
»Ah. Führen Sie ihn herein.«
Der kleine Raum wurde von einem riesigen Mahagoni-
schreibtisch beherrscht. Wie ein Schiff in einer Flasche, dachte
Rose und drehte sich verwirrt um, weil er sich nicht erklären
konnte, wie dieses Monstrum durch die Tür gepasst hatte. Hin-
ter dem Schreibtisch saß Mr. Lovick, stirnrunzelnd in Akten ver-
tieft. Ohne hochzusehen, winkte er dem Schreiber, er könne ge-
hen. Rose blieb verlegen stehen und studierte Lovicks Profil. Ein
dunkelhaariger Mann mit einem dicken schwarzen Backenbart
ohne die geringste Spur von Grau. Sein Gesicht wirkte streng,
mit den scharfen Ecken und Kanten wie gefaltet. Rose schluckte.
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»Mr. Rose.« Endlich sah Lovick hoch, eine tiefe Falte zwischen
den buschigen Augenbrauen. Er bot Rose keinen Platz an. Rose
rang die auf dem Rücken verschränkten Hände. »Wie kann ich
Ihnen helfen?«
»Als Erstes, Mr. Lovick, möchte ich Ihnen danken, dass Sie
mich empfangen. Ich weiß, Sie sind ein viel beschäftigter
Mann.«
Lovick verzog die blutleeren Lippen zu einem Lächeln. »Ah,
freundliche Worte, nur leider an den Falschen gerichtet. Mr. Lo-
vick wurde zu einer dringenden Angelegenheit gerufen und ist
den ganzen heutigen und leider wohl auch den morgigen Tag
nicht hier. Ich habe dem Schreiber vorgeschlagen, Sie zu mir zu
schicken. ielleicht
V
kann ich Ihnen helfen.« Er neigte den Kopf
und studierte Roses Miene. »Mein Name ist Hawke.«
Rose riss die Augen auf, sein Adamsapfel kratzte unangenehm
an seinem Kragen.
»Aber ...«
»Sie sind Mr. Mays Anwalt, nicht?« Hawke schüttelte bedau-
ernd den Kopf, ileß Rose aber nicht aus den Augen. Nervös
stellte Rose fest, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg.
»Verzeihen Sie, Mr. Hawke, aber ich glaube, es wäre ange-
bracht, wenn ich ...«
Hawke überhörte die Bemerkung. »Es ist kaum der Mühe
wert, ein
en Anwalt einzuschalten«, sagte
er stattdessen. »In An-
betracht der Umstände.«
»Welche Umstände könnten das denn sein, Mr. Hawke?«,
fragte Rose
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