Der weite Himmel: Roman (German Edition)
glauben konnte, daß ihr das passierte. Menschen, die sie liebgewonnen hatte, saßen in dem gemütlichen Eßzimmer, genossen die Speisen, die sie zubereitet hatte, und unterhielten sich gutgelaunt miteinander. Sie neckten sich, wie es Familienmitglieder ihrer Meinung nach untereinander taten.
Es war Tess gewesen, die mit voller Absicht während des Essens den Stein ins Rollen gebracht hatte. Lily vermutete es wenigstens. Ihre Schwester hatte Willa gesagt, daß das Kleid, das sie für sie ausgesucht hatten, aus fuchsiafarbenem Organdy war und einen Rüschenrock und Puffärmel sowie ein verstärktes Oberteil besaß.
»Ihr müßt nicht ganz bei Trost sein, wenn ihr glaubt, daß ich mich in so ein Ding stecken lasse. Ist Fuchsia nicht so eine Art Pink? Ich denke nicht daran, pinkfarbene Rüschen zu tragen.«
»Du wirst bezaubernd darin aussehen«, schnurrte Tess. »Besonders mit dem Hut.«
»Was für einem Hut?«
»Oh, er ist entzückend, farblich zum Kleid passend, und er hat eine riesige Krempe, die mit Blumen verziert ist. Englische Primeln. Am Hinterkopf ist er offen, so daß wir dein Haar hochstecken können. Außerdem haben wir dir noch Handschuhe mitgebracht, ellbogenlang, sehr schick.«
Da Willa totenbleich geworden war, erbarmte sich Lily ihrer. »Sie will dich nur auf die Schippe nehmen. Das Kleid ist wirklich schön, hellblaue Seide mit Perlenknöpfen am Rükken und Spitze am Ausschnitt. Sehr schlicht und von klassischer Eleganz. Und du brauchst weder einen Hut noch Handschuhe zu tragen.«
»Spielverderberin«, brummte Tess, dann grinste sie Willa an. »Reingefallen!«
»Wenn das so weitergeht, muß Will in diesem Jahr häufiger
ein Kleid anziehen, mehr als sie in den letzten zehn Jahren getragen hat.« Ben prostete ihr zu. »Dabei dachte ich immer, sie schläft sogar in ihren Jeans.«
»Ich möchte dich mal sehen, wie du in einem Kleid Rinder zusammentreibst«, schoß Willa zurück.
»Ich auch.« Leise kichernd schob Nate seinen Teller beiseite. »Lily, das hat ausgezeichnet geschmeckt. Adam wird bald nicht mehr in seine Hosen passen, wenn du für ihn kochst.«
»Hoffentlich habt ihr noch ein bißchen Platz für den Kuchen gelassen.« Freudestrahlend stand Lily auf. »Ich schlage vor, wir essen ihn im Wohnzimmer.«
»Das Mädchen kocht wirklich großartig«, bemerkte Ben, als er es sich in dem großen Ohrensessel im Wohnzimmer bequem machte. »Da hat Adam einen guten Griff getan.«
»Sind das die Kriterien, nach denen du eine Frau beurteilst, McKinnon?« Willa ließ sich im Schneidersitz auf dem Fußboden vor dem Kaminfeuer nieder. »Wie gut sie kocht?«
»Das ist sicherlich ein Pluspunkt.«
»Eine kluge Frau steht nie selbst am Herd, sondern engagiert einen Koch.« Tess sank leise stöhnend neben Nate auf das Sofa. »Und erlaubt sich nur einmal im Jahr eine so gewaltige Mahlzeit. Ich werde morgen fünfzig Bahnen mehr im Pool schwimmen müssen.«
Willa fielen auf Anhieb mehrere boshafte Bemerkungen ein, doch sie verkniff sich jeglichen Kommentar. Statt dessen warf sie einen verstohlenen Blick zur Küche, wo Adam und Lily eifrig damit beschäftigt waren, das Dessert vorzubereiten. »Bevor die beiden wieder ins Zimmer kommen – hat Lily dir gegenüber etwas verlauten lassen, daß sie glaubt, ihren Ex gesehen zu haben, während ihr in Ennis einkaufen wart?«
»Nein.« Tess richtete sich rasch auf. »Kein Wort.«
»In Ennis?« Nates Augen wurden schmal, und er hörte auf, mit Tess’ Fingern zu spielen.
»Sie meint aber, sie hätte sich geirrt; sagte, es wäre eine alte Angewohnheit von ihr, überall Jesse Cooke zu sehen. Trotzdem bin ich ein bißchen beunruhigt.«
»Eine Zeitlang war sie ziemlich schweigsam.« Tess ließ in
Gedanken den Tag noch einmal an sich vorüberziehen. »Wir standen vor der Auslage eines Wäschegeschäftes, und ich dachte, sie würde schon von ihrer Hochzeitsnacht träumen. Außerdem kam sie mir ein paar Minuten lang recht nervös vor, aber sie hat keinen Ton gesagt.«
»Hast du das Bild von ihm schon bekommen?« fragte Ben Nate.
»Ja, vor ein paar Tagen. Im Osten hat es eine kleine Verzögerung gegeben.« Auch er sah zur Küche.
»Er sieht aus wie ein Chorknabe, hübsches Gesicht und Bürstenhaarschnitt. Hier in der Gegend hab’ ich ihn noch nie gesehen. Vielleicht hätte ich das Foto mitbringen sollen.«
»Ich würde es gern einmal sehen«, sagte Willa. »Aber laß uns später darüber reden«, fügte sie hinzu, als sie Adams Stimme hörte. »Ich will Lily den
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