Der weite Himmel: Roman (German Edition)
beiden ihn zum Onkel gemacht. Bei diesem Gedanken fühlte sich Ben uralt. Langsam kam es ihm so vor, als würden ihn und Zack dreißig statt lediglich drei Jahre trennen.
Er setzte seinen Hut wieder auf und lenkte sein Pferd bergan, durch einen Kiefernhain hindurch. Hier war die Luft
frischer und kühler als im Tal. Ben entdeckte Spuren von Hochwild. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er der Versuchung nachgegeben, den Fährten zu folgen, um seiner Mutter ein saftiges Stück Wildbret mitzubringen. Auch Charlie schnüffelte hoffnungsvoll am Boden herum und wartete auf die Genehmigung seines Herrn, die Beute aufzuscheuchen, doch Ben war nicht in der richtigen Jagdstimmung.
Schnee lag in der Luft, er konnte ihn bereits riechen, obwohl er sich noch unterhalb der Schneefallgrenze befand. Ben hatte bereits die ersten Schwärme Wildgänse gen Süden ziehen sehen. Der Winter würde früh über das Land hereinbrechen, und es würde, so vermutete Ben, ein harter Winter werden. Sogar das Rauschen des sprudelnden Gebirgsbaches klang frostig.
Als die Bäume dichter und der Boden unebener wurde, folgte er dem Lauf des Wassers. Der Wald war ihm so vertraut wie sein eigener Scheunenhof. Dort lag die abgestorbene Lärche, unter der Zack und er einst nach vergrabenen Schätzen gebuddelt hatten. Und hier, auf der kleinen Lichtung, hatte er seinen ersten Hirsch erlegt, während sein Vater mit stolzgeschwellter Brust neben ihm stand. Hier hatten sie Forellen geangelt und Waldbeeren gepflückt, die es in Hülle und Fülle gab.
In diese Felsen hatte er den Namen seiner ersten großen Liebe eingeritzt. Im Laufe der Jahre waren die Worte verblaßt und ausgewaschen worden, und die hübsche Susie Boline war mit einem Gitarristen nach Helena durchgebrannt und hatte Bens achtzehnjähriges Herz gebrochen.
Die Erinnerung versetzte ihm immer noch einen Stich, obwohl er lieber alle Qualen der Hölle erduldet hatte, als zuzugeben, daß er ein sentimentaler Mann war. Er ließ Felsen – und Erinnerungen – hinter sich und ritt bergan, wobei er dem ausgetretenen Pfad folgte, der ihn durch den Wald führte. Die leuchtende Farbenpracht der Blätter erinnerte ihn an die Kleider der Frauen bei einer samstäglichen Tanzveranstaltung.
Als die Luft dünner und der Schneegeruch immer stärker wurde, begann Ben durch die Zähne zu pfeifen. Sein Aufenthalt in Bozeman war zwar insgesamt durchaus lohnend gewesen,
dennoch hatte er sich ständig nach der Weite und Einsamkeit dieser Landschaft gesehnt. Und obwohl er sich einredete, seinen Schlafsack als reine Vorsichtsmaßnahme mitgenommen zu haben, plante er bereits, eine Nacht hier draußen zu verbringen. Vielleicht auch zwei.
Er könnte einen Hasen schießen oder ein paar Fische braten und sich dann zu seiner Mannschaft gesellen. Oder für sich bleiben. Das Vieh mußte bald ins Tiefland hinuntergetrieben werden. Es lag soviel Schnee in der Luft, daß er einen verfrühten Blizzard befürchtete, was eine Katastrophe für die Herden auf den höher gelegenen Weiden bedeutete. Er glaubte aber, daß sie dazu noch genug Zeit hätten.
Ben hielt einen Augenblick an, um seinen Blick über eine idyllische Bergwiese schweifen zu lassen, auf der eine Anzahl Rinder friedlich graste. Er genoß den Duft der Wildblumen und das Gezwitscher der Vögel. Wie konnte man nur die schmutzigen, dichtbebauten, lärmerfüllten Straßen einer Großstadt mit ihren vielen Menschen dieser Landschaft hier vorziehen?
Der Knall einer Flinte ließ sein Pferd scheuen und riß ihn aus seinen träumerischen Gedanken. Obwohl in diesem Land ein Schuß gewöhnlich auf eine Jagd schließen ließ, wurde er wachsam. Beim zweiten Schuß lenkte er sein Pferd in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und trieb es zu einem schnellen Trab an.
Zuerst bemerkte er die Appaloosastute. Wills Reittier zitterte immer noch am ganzen Leibe, seine Zügel waren locker um einen Ast geschlungen. Der eigentümlich süßliche Geruch von Blut stieg Ben in die Nase und schnürte ihm die Kehle zu. Dann sah er Willa, die, die Flinte noch im Anschlag, keine zehn Fuß von einem niedergestreckten Grizzly entfernt stand. Mit einem grollenden Knurren setzte sich der Hund in Bewegung, blieb jedoch auf Bens scharfes Kommando hin widerwillig stehen.
Ben wartete, bis sie ihm über die Schulter hinweg einen Blick zugeworfen hatte, ehe er aus dem Sattel sprang. Ihr Gesicht war totenbleich, und die dunklen Augen wirkten riesengroß. »Ist er wirklich tot?«
»Mausetot.« Willa
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