Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
unterdrücken. Die Miene des Cops war
ganz und gar nicht scherzhaft, als er in diese Richtung sah; es
war die Miene eines Mannes, der vollkommen wahnsinnig ist.
Und, Herrgott, er war so beschissen groß.
»Meine Kinder der Wüste!« sagte der Cop. »Die can toi! Was
für eine Musik sie machen!«
Er lachte, sah auf den Beutel Stoff in seiner großen Hand
hinunter, schüttelte den Kopf und lachte noch mehr. Johnny
stand da und sah ihn an, und seine Gewißheit, daß Männer
wie er nicht ermordet wurden, war plötzlich dahin.
»Reisen mit Harley«, sagte der Cop. »Ist Ihnen klar, was für
ein dummer Titel für ein Buch das ist? Was für ein dummes Konzept das ist? Und das literarische Vermächtnis von John
Steinbeck zu plündern … wo Sie nicht einmal wert sind, seine
Schuhe zu lecken … das macht mich stinksauer.«
Und ehe Johnny wußte, wie ihm geschah, loderte eine
silberne Fackel des Schmerzes in seinem Kopf auf. Er merkte,
wie er die Hände vors Gesicht schlug und rückwärts taumelte, während warmes Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll, wie er mit den Armen ruderte und dachte: Ich halte
es aus, ich werde nicht umkippen, ich halte es aus, und dann lag er
seitlich auf der Straße und schrie zum blauen Himmelszelt
hinauf. Die Nase unter seinen Fingern fühlte sich nicht mehr
gerade an; sie schien auf seiner linken Wange zu liegen. Seine
Nasenscheidewand war angegriffen von all dem Koks, das er
in den achtziger Jahren geschnupft hatte, und er erinnerte
sich, daß sein Arzt ihm gesagt hatte, er solle das in Ordnung
bringen lassen, bevor er gegen ein Verkehrsschild oder eine
Schwingtür oder so was laufen und das Ding einfach explodieren würde. Nun, es war keine Tür und kein Schild gewesen, und die Nasenscheidewand war auch nicht gerade
explodiert, aber trotzdem hatte sie eine schnelle und radikale
Veränderung durchgemacht. All diese Gedanken gingen ihm
anscheinend auf vollkommen kohärente Weise durch den
Kopf, während sein Mund weiter schrie.
»Tatsächlich macht es mich wütend«, sagte der Cop und versetzte Johnny einen Tritt gegen den linken Oberschenkel. Der
Schmerz war ein weißglühendes Blech, das sich wie Säure in
ihn fraß und die großen Muskeln des Oberschenkels in Stein
verwandelte. Johnny rollte sich hin und her und hielt sich das
Bein statt der Nase, schürfte sich die Wange auf dem Asphalt
des Highway 50 auf, schrie, keuchte, atmete Sand durch den
Mund ein und hustete ihn rauh wieder aus, als er erneut zu
schreien versuchte.
»Um die Wahrheit zu sagen, es macht mich krank vor Wut«, sagte der Cop und versetzte Johnny einen Tritt in den Arsch,
hoch oben am Ansatz der Wirbelsäule. Nun wurde der
Schmerz unerträglich; mit Sicherheit würde Johnny gleich
ohnmächtig werden. Aber er verlor nicht das Bewußtsein.
Er zappelte nur und wand sich auf der unterbrochenen
weißen Linie, schrie und blutete aus seiner gebrochenen
Nase und hustete Sand aus, während ein gutes Stück weit
weg Kojoten in den länger werdenden Schatten der fernen
Berge heulten.
»Steh auf«, sagte der Cop. »Auf die Füße, Lord Jim.«
»Ich kann nicht«, schluchzte Johnny Marinville, zog die
Beine an die Brust und verschränkte die Arme vor dem Bauch,
eine Abwehrhaltung, an die er sich noch vage von der Versammlung der Demokraten im Jahr 1968 in Chicago erinnerte,
und davor von einer Vorlesung in Philadelphia, die er besucht
hatte, vor den ersten Freedom Rides nach Mississippi. Er hatte
vorgehabt, bei einem davon mitzumachen - nicht nur, weil es
sich um eine große Sache handelte, sondern auch, weil das der
Stoff war, aus dem sich große Literatur machen ließ -, aber
dann war irgendwas dazwischengekommen. Wahrscheinlich
sein Schwanz, beim Anblick eines hochgehobenen Rocks.
»Auf die Füße, du Stück Scheiße. Du bist jetzt in meinem Haus, dem Haus des Wolfs und des Skorpions, das solltest du
besser nicht vergessen.«
»Ich kann nicht, Sie haben mir das Bein gebrochen, Herr im
Himmel, Sie haben mir so weh getan -«
»Dein Bein ist nicht gebrochen, und du weißt gar nicht, wie
es ist, wenn etwas richtig weh tut. Steh auf jetzt.«
»Ich kann nicht, ich kann wirklich n-«
Der Schuß war ohrenbetäubend, der Querschläger vom As phalt heulte wie eine riesige Wespe, und Johnny Marinville
sprang auf die Füße, noch ehe er hundertprozentig sicher war,
daß er nicht tot war. Er stand mit einem Fuß auf der östlichen und mit einem Fuß auf der westlichen Fahrspur und
schwankte hin und her wie ein Betrunkener. Seine untere

Weitere Kostenlose Bücher