Deutschland umsonst
diesmal live durch die Schaufensterscheibe eines Elektrogeschäfts im Fernsehen. Alle machten sie selbstzufriedene Gesichter, alle fühlten sich sichtbar als die Sieger der Wahl. Obwohl der Ton abgestellt war, hörte ich sie reden, man kennt sie ja, die Herren, und weiß, was sie bei solcher Gelegenheit zu sagen pflegen:
»Hans Appel (ARD): Herr Ministerpräsident Strauß, sind Sie mit dem Wahlergebnis zufrieden?
Franz Josef Strauss (CSU): Was heißt hier zufrieden? Ein Politiker darf nie zufrieden sein. Zufriedenheit macht sorglos, und zur Sorge gibt die Lage der Bundesrepublik Deutschland ja allen Anlaß. Denken Sie doch nur mal an die gigantische Verleumdungskampagne, gegen die wir uns im Wahlkampf zur Wehr setzen mußten, das ging ja bis zur physischen Bedrohung. Nicht unzufrieden bin ich jedoch über das Abschneiden der CSU in Bayern: Dort hat die Politik wieder mal über die Propaganda, die Argumente über die Diffamierungen, die Wahrheit über die Lüge gesiegt.
Carl Weiss (ZDF): Und Sie, Herr Genscher, Sie machen eigentlich ein ganz zufriedenes Gesicht.
Hans-Dietrich Genscher (FDP): Nicht ohne Grund (lacht). Ich freue mich über das Ergebnis. Ich glaube, es ist die Bestätigung für einen sehr sachlichen, problembewußten Wahlkampf der Liberalen, frei von Verunglimpfungen und im übrigen eine klare Absage an den politischen Radikalismus. Der Wähler hat gezeigt, daß er ein mündiger Bürger ist, der die unbestreitbaren Leistungen der FDP zu honorieren versteht.
Hans Appel : Herr Kohl, wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Helmut Kohl (CDU): Zunächst einmal möchte ich all den Millionen Frauen und Männern in diesem unserem Lande Dank sagen, die der Union ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Dank sagen möchte ich auch den Zehntausenden Mitgliedern unserer Partei, die sich, wie selten zuvor, im Wahlkampf auf so beeindruckende Weise für unsere Sache engagiert haben. Wer, wie ich, auf über tausend Wahlkundgebungen erleben durfte, wie...
Hans Appel :... und das Ergebnis der Wahl, Herr Kohl...
Helmut Kohl: Nun, es ist wohl noch zu früh, schon zu dieser Stunde Abschließendes sagen zu können, aber eines läßt sich doch ganz unbestreitbar festhalten: Allen Anfeindungen zum Trotz, ist und bleibt die CDU/CSU eine tragende politische Kraft in unserem Lande, die sich ungebrochen dem Marsch in den Sozialismus in den Weg stellen wird!
Willy Brandt (SPD): (schüttelt mit dem Kopf) Also das böse Wort vom Marsch in den Sozialismus sollte doch nun, da die Wahllokale zu sind, nicht mehr in den Mund genommen werden, Herr Kohl. Das Wahlergebnis hat doch gezeigt, daß die Bürgerinnen und Bürger nicht so dumm sind, als daß man ihnen ein X für ein U verkaufen könnte. Nein, wir Sozialdemokraten mußten uns in schwierigen Zeiten behaupten, wir mußten gegen den Wind angehen, und wenn der Kollege Strauß eben von Verunglimpfungen und Propaganda gesprochen hat, so möchte ich das im Namen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit aller Entschiedenheit zurückweisen: Wir haben sachlich und fair für den Erhalt der Regierungskoalition gestritten und ich meine mit respektablem Resultat.«
Der eingeblendeten Schautafel konnte ich entnehmen, daß sich nicht viel geändert hatte in der politischen Landschaft unserer Republik. Strauß hatte es nicht geschafft, und doch konnte ich mich nicht freuen, so wie vor acht Jahren, als es der CDU-Opposition schon einmal mißlungen war, die Regierung zu Fall zu bringen. Welch eine Euphorie herrschte damals vor dem Fernseher, Martin holte Sekt aus dem Eisschrank, und bis nach Mitternacht hatten wir uns noch immer nicht sattgesehen an Prozentzahlen und am ehrlich-glücklichen Willy, für dessen Sieg wir uns die Hacken abgelaufen hatten, mit dessen Person wir große Hoffnungen verbanden. Der Kniefall in Warschau, das schüchtern-begütigende Winken in Erfurt, der Händedruck auf der Krim — die erregenden Bilder von damals standen auf einmal wieder vor mir, während Herr Nowottny tonlos, trocken und mit ironisch verzogenem Mund das Wahlergebnis analysierte. Alle Hoffnungen, die ich einmal mit Politik verbunden hatte, sie hatten nichts mehr mit der Gegenwart zu tun, und wäre Strauß an diesem Abend tatsächlich der große Gewinner gewesen, es hätte mich ziemlich kalt gelassen, hier in der zugigen Fußgängerpassage von Eschwege.
Es waren eine Menge Leute, die sich da im runden Kegel der Laterne drängten, gepflegte Menschen, die meisten zwischen Dreißig und Vierzig und in so
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