Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
mich das Steinspiel gelehrt hatte, hatte sich eines Tages meine Wahrnehmung plötzlich verändert. Der Wolf war bei mir gewesen. Ich hatte die kleinen Steine auf den Schnittpunkten des Spielfeldes nicht mehr als feste Situation betrachtet, sondern lediglich als Punkt, wo viele Möglichkeiten ihren Anfang nahmen. Ich konnte Chades Spiel nicht gewinnen, indem ich Nein sagte. Aber was würde geschehen, sollte ich Ja sagen?
Du hast stets beschlossen, dich durch das, was du bist, zu binden. Jetzt entscheide dich, dich durch das, was du bist, zu befreien.
Ich hielt den Atem an, als dieser Gedanke plötzlich in meinen Geist eindrang. Nachtauge? Ich griff nach dem Gedanken, doch er besaß ebenso wenig einen Ursprung wie der Wind. Ich war nicht sicher, ob die Gabe diesen Gedanken von einer anderen Person zu mir getragen hatte, oder ob er irgendwo tief aus meinem Inneren gekommen war. Aber wo auch immer er hergekommen sein mochte, er besaß den Klang der Wahrheit. Mit äußerster Vorsicht sponn ich diesen Gedanken weiter. Ich war also durch das gebunden, was ich war. Ich war ein Weitseher. Aber auf eine seltsame, losgelöste Art fühlte ich mich von dieser Erkenntnis befreit.
»Ich will, dass du mir etwas versprichst«, sagte ich langsam.
Chade fühlte die Veränderung, die in mir vorging. Vorsichtig stellte er sein Weinglas ab. »Versprechen?«
»Die Beziehung zwischen mir und König Listenreich war wechselseitig. Ich gehörte ihm, und im Gegenzug sorgte er für mich und ließ mich unterrichten. Und er hat sehr gut für mich gesorgt, was ich allerdings erst wirklich erkannt habe, nachdem ich zum Mann herangewachsen war. Jetzt möchte ich, dass ihr mir etwas Ähnliches versprecht.«
Chade zog die Augenbrauen zusammen. »Mangelt es dir an irgendetwas? Nun, ich weiß, dass dein gegenwärtiges Quartier viel zu wünschen übrig lässt, aber wie ich dir ja schon gesagt habe, kannst du diese Kammer hier umgestalten, wie du willst. Dein momentanes Reittier scheint mir ganz in Ordnung zu sein, aber wenn du ein besseres Pferd haben willst, könnte ich …«
»Nessel«, unterbrach ich ihn leise.
»Du willst, dass wir für Nessel sorgen? Das wäre ein Leichtes, wenn wir sie hierher holen würden, wo sie unterrichtet werden kann und die Gelegenheit bekommt, junge Männer in guten Positionen …«
»Nein. Ich will nicht, dass ihr euch um sie sorgt. Ich will, dass du und alle anderen sie in Ruhe lasst.«
Langsam schüttelte er den Kopf. »Fitz, Fitz, Fitz. Du weißt, dass ich dir dieses Versprechen nicht geben kann. Die Königin hat befohlen, dass sie hierher gebracht und unterrichtet werden soll.«
»Ich bitte auch nicht dich darum, sondern meine Königin. Wenn ich einwillige, ihr Gabenmeister zu werden, dann muss sie mich unterrichten lassen, wen und wie ich will, vor allem im Geheimen. Und sie muss mir versprechen, meine Tochter in Frieden zu lassen. Für immer.«
Ein schrecklicher Ausdruck huschte über Chades Gesicht. Seine Augen leuchteten in der wilden Hoffnung, dass ich die Rolle des Gabenmeisters übernehmen würde. Aber der Preis, den ich dafür gefordert hatte, ließ ihn verzagen. »Du würdest von deiner Königin ein Versprechen einfordern? Glaubst du nicht, dass du dir da ein wenig zu viel rausnimmst?«
Ich biss die Zähne zusammen. »Vielleicht. Aber vielleicht haben sich die Weitseher auch lange Zeit mir gegenüber zu viel herausgenommen.«
Chade atmete tief ein und aus. Ich wusste, dass er seine Wut mit Hoffnung im Zaum hielt. Als er wieder sprach, klang seine Stimme eisig und formell. »Ich werde deinen Vorschlag Ihrer Majestät unterbreiten und dir dann ihre Antwort zukommen lassen.«
»Bitte«, erwiderte ich in ebenso formellem Ton.
Chade stand steif auf und wandte sich zum Gehen, ohne ein weiteres Wort an mich zu richten. An diesem Schweigen erkannte ich, dass sein Zorn tiefer saß, als ich zunächst angenommen hatte. Es dauerte einen Augenblick, bis ich meinen Finger darauf legen konnte. Ich war nicht wie er, weder als Weitseher noch als Assassine. Ich sehnte mich danach, ihn einfach gehen zu lassen, doch ich wusste, dass wir noch über andere Dinge sprechen mussten.
»Chade. Bevor du gehst, da gibt es noch etwas anderes, was ich dir sagen muss. Ich glaube, wir haben einen Spion in unseren Geheimgängen gehabt.«
Man konnte ihm förmlich ansehen, wie er sich mit aller Macht zwang, sich zu beherrschen. Als er sich wieder umdrehte, hob ich die Schüssel hoch, um ihm die Ratte zu zeigen. »Das Frettchen
Weitere Kostenlose Bücher