Die Aspern-Schriften (German Edition)
erschrecken, als sich die Gestalt zu ihrer vollen Höhe erhob und ich Miss Bordereaus Nichte erkannte. Gerechterweise muss ich sagen, dass ich auch sie nicht erschrecken wollte, und so sehr ich ein solches Ereignis herbeigesehnt hatte, wäre ich doch in der Lage gewesen, mich zurückzuziehen. Es war fast, als hätte ich eine Falle für sie ausgelegt, indem ich früher als üblich nach Hause kam und zusätzlich zu dieser Unplanmäßigkeit auch noch in den Garten ging. Im Aufstehen sprach sie mich an, und mir kam der Gedanke, dass sie vielleicht die nächtliche Gewohnheit angenommen habe, meiner regelmäßigen Abwesenheit gewiss, in Einsamkeit ein wenig Luft zu schöpfen. Eine Falle hatte ich ihr tatsächlich nicht gestellt, da ich an eine solche Möglichkeit überhaupt nicht gedacht hatte. Zuerst bezog ich die Worte, die ich von ihr vernahm, auf die Vorzeitigkeit meiner Rückkehr; doch als sie sie wiederholte – ich hatte sie nur undeutlich verstanden –, vernahm ich zu meiner Überraschung: »Ach, bin ich froh, dass Sie gekommen sin d !« Sie und ihre Tante hatten die Eigenschaft gemeinsam, unerwartete Dinge auszusprechen. Sie trat aus der Laube hervor, als wollte sie sich in meine Arme werfen.
Ich beeile mich hinzuzufügen, dass dieser Kelch an mir vorüberging und sie mir noch nicht einmal die Hand reichte. Es war eine Erleichterung für sie, mich zu sehen, und sie erklärte mir sogleich warum – weil es sie ängstigte, wenn sie sich nachts allein außerhalb des Hauses aufhielt. Die Blumen und Büsche sähen in der Dunkelheit so seltsam aus, auch gäbe es alle möglichen sonderbaren Geräusche, die sie nicht genauer beschreiben könne, zum Beispiel Geräusche von Tieren. Sie stand neben mir und schaute nun mit größerer Gelassenheit drein, doch bekundete ihr Blick keinerlei Interesse an mir als Person. Da wurde mir bewusst, wie wenig sie an nächtliche Ausgänge gewohnt sein musste, und das rief mir wieder in Erinnerung – dasselbe hatte schon Bestürzung in mir ausgelöst, als ich vor meinem Einzug mit ihr gesprochen hatte –, dass man von ihr in ihrer ganzen Naivität unmöglich zuviel verlangen durfte.
»Sie hören sich so an, als hätten Sie sich im dunklen Wald verlaufen«, sagte ich lachend. »Wie Sie es schaffen, sich von diesem wundervollen Platz fern zu halten, wo Sie doch nur drei Schritte machen müssten, um hierher zu gelangen, das ist mir wirklich ein Rätsel. Seit ich in diesem Hause wohne, halten Sie sich erstaunlicherweise versteckt, das habe ich sehr wohl bemerkt; ich hatte jedoch die Hoffnung, Sie würden zu anderen Zeiten ein wenig herausschauen. Sie und Ihre arme Tante sind schlechter dran als Karmeliterinnen in ihren Zellen. Möchten Sie mir vielleicht erklären, wie Sie ohne Luft, ohne Bewegung, ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen überhaupt leben könne n ? Ich kann nicht erkennen, wie Sie das Geschäft des Lebens überhaupt bewältigen.«
Sie schaute mich an, als hätte ich in fremden Zungen geredet, und ihre Antwort war so ausweichend, dass ich Verärgerung in mir aufsteigen fühlte. »Wir gehen sehr früh zu Bett – früher, als Sie sich vorstellen können.« Ich wollte gerade erwidern, dass dies mein Unverständnis nur noch verstärke, da erleichterte sie mich ein wenig mit dem Zusatz: »Bevor Sie kamen, haben wir nicht ganz so zurückgezogen gelebt. Aber spät abends bin ich niemals draußen gewesen.«
»Niemals auf diesen duftenden Gartenwegen, die unter Ihrer Nase so üppig blühe n ?«
»Leider « , sagte Miss Tin a , »so hübsch wie jetzt sind sie noch nie gewese n !« Da hörte ich schon mehr Empfindsamkeit heraus und empfand den Vergleich als schmeichelhaft, so dass mir schien, ich hätte einen Vorteil errungen. Da ich davon zu profitieren gedachte, indem ich erst einmal meinen Kummer vorbrachte, fragte ich sie, warum sie sich nie, wenn sie doch meinen Garten für schön halte, in irgendeiner Weise für die Blumen bedankt habe, die ich ihr in den vergangenen drei Wochen in so großen Mengen hatte schicken lassen. Ich hätte mich dadurch nicht entmutigen lassen – denn wie sie wohl bemerkt habe, sei täglich ein Arm voll gekommen; ich sei jedoch den herkömmlichen Sitten entsprechend erzogen worden und hin und wieder ein Wort der Anerkennung hätte mich in angemessener Weise berührt.
»Wieso, ich wusste nicht, dass sie für mich bestimmt ware n !«
»Sie waren für Sie beide. Warum sollte ich einen Unterschied mache n ?«
Miss Tina dachte nach, als suchte
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