Die Aufrichtigen (German Edition)
Herrenmahl erfahren. Im Grunde liegt es auf der Hand.«
»Nämlich?«
Pater Donatus wurde durch das Klingeln seines Mobiltelefons unterbrochen, das er schnell unter seiner Kutte hervor zog, als habe er darauf gewartet. Er hörte dem Anrufer mit versteinerter Miene zu.
»Er ist hier!«, sagte er, nachdem er das Telefon zugeklappt hatte. »Entschuldige mich, ich muss gehen.«
Ohne ein weiteres Wort eilte er davon. Dr. Albertz glaubte zu wissen, wen er meinte.
Karfreitag, 13 Uhr 18 Erkundungen
Leo konnte nicht anders, er musste Sophie einfach anhimmeln. In Liebesdingen hatte er noch nie ein glückliches Händchen bewiesen und bisher nur die Mädchen abbekommen, die sonst keiner wollte. Mit Sophie war das anders. Sie war keine zweite Wahl, sie war ihm haushoch überlegen. Was wollte sie von ihm? Was empfanden sie füreinander? Es fiel ihm schwer, sich das körperliche Verlangen einzugestehen. Er musste immer etwas hinein interpretieren, was vielleicht das Ergebnis seiner katholischen Erziehung war, die wenig Raum dafür ließ, den Körper einer jungen Frau unbedarft zu genießen.
Er wusste, dass Sophie das albern fand. Sie nahm sich, was sie wollte, und da es Leo gelang, sie restlos zu befriedigen, gab es vielleicht wirklich keinen Grund, der Sache weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Leo aber verzehrte sich nach romantischer Hinwendung, sehnte sich nach dieser geradezu absurd heilen Welt, und manchmal genügte schon ihr ungerader Blick oder ein heftigeres Ausatmen, um seine Laune für Tage zu trüben. Wahrscheinlich war es der Mangel an gutem Beispiel, die fehlende Vorstellung davon, wie ein normales Leben wirklich aussah, was ihn immer wieder zu neuen Extremen trieb. Er neigte zur Idealisierung, suchte praktisch ohne Pause des Pudels Kern und schwebte dabei immer in Gefahr, wegen einer kleinen Geste sein gesamtes Leben in Frage zu stellen. Lächerlich, dass ausgerechnet Leander Blum Rechtsanwalt geworden war! Wahrscheinlich spielte Sophie wirklich in einer anderen Liga, wie ein Freund einmal bemerkt hatte. Doch das machte es Leo nur noch schwerer, zu verstehen, weshalb sie sich mit ihm abgab. Vielleicht wollte sie bloß Sex, und er begriff es nicht. Vielleicht aber wollte sie viel mehr. Es kam ihm vor, als wechsle sie von einer Sekunde zur anderen die Stimmung. Das brachte ihn zur Verzweiflung. Denn er wollte die Momente inniger Zuneigung verewigen, zu einem Schema machen, das man bei Bedarf abrufen konnte.
Sophie dagegen hatte wenig Lust, darüber zu reden. Öffentliche Liebesbekundungen waren ihr peinlich. Wie konnte man den Richtigen finden, immer wieder und ihn für immer behalten? Alles war doch voller Zweifel, dem ständigem Zwang zur Optimierung und auf keinen Fall von Dauer. Bindung barg vor allem die Gefahr, etwas vielleicht noch Besseres zu versäumen. Wie passte eine Bindung zu einer jungen Frau, die sich vor allem beweisen musste? Sie wusste nicht mehr, wie viele Typen sie vor Leo ausprobiert hatte, wie oft sie selbst ausprobiert worden war. Das alles hatte einen schalen Beigeschmack hinterlassen, wie der Geruch von gebrauchten Sachen. Die Freiheit, alles zu tun, machte es schier unmöglich, sich zu entscheiden und wenn sie sich daran erinnerte, was sie alles gemacht hatte, an welchen Orten, unter dem Einfluss welcher berauschender Mittel, überkam sie das Bedürfnis, heiß zu duschen. Jede Beziehung, jeder Flirt nahmen ihr immer mehr von ihrer Unbefangenheit, und machten sie bei aller Erfahrung irgendwie ärmer. Der Wunsch, ihre ausgeprägte Körperlichkeit mit dem Richtigen zu teilen, wurde zur Sehnsucht, und dass dieser Richtige vielleicht Leo sein könnte, gestand sie sich allenfalls ein, wenn sie sich besonders schwach fühlte. Sie konnte doch nicht, wie ein kleines Mädchen, von der großen Liebe träumen.
Deshalb spielte sie das ewige Katz- und Mausspiel, Weglaufen, um nur ja gefangen zu werden.
Als die beiden in Mainz ankamen, befand sich Leos Stimmung auf dem Tiefpunkt. Seit Sophie gestern mit ihrer aufreizenden Art alle möglichen Erwartungen geweckt hatte, kochte sein Blut, sein Verstand pausierte. Er hatte sich in ein wollüstiges Kleinkind verwandelt, das die heiß ersehnte Leckerei durch dauerndes Quengeln herbeibeschwören möchte. Sophie aber war es unangenehm, sich öffentlich betatschen zu lassen. Sie las fast während der ganzen Zugfahrt in einem dicken Elisabeth George Krimi und vertröstete Leo auf später, bis er sich schmollend in seinen Sitz zurückzog. Der Kommissar hatte
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